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Mi, 28. Februar 2007, 00:00

TÜV-Prüfung? Ja - aber nur bei geschlossener Motorhaube!

Standards sind was Feines! Zum Beispiel in der Stromwirtschaft: Wer einen Drucker in Dresden kauft, kann sicher sein, daß er diesen auch in Saarbrücken ans Stromnetz klemmen kann. Oder umgekehrt gefragt: Haben Sie es schon einmal als Mangel empfunden, daß die Stromstecker - technisch gesehen - alle gleich sind? Hätten Sie sich gewünscht, mal eine Steckdose mit - sagen wir - 90 oder 280 Volt Spannung anzutreffen? Im Vertrauen: Ich hatte die Unmöglichkeit zur Auswahl in diesem Bereich bislang immer als Vorteil angesehen! Solange ich drucken kann, bin ich zufrieden!

So ähnlich scheint mir das im Bereich der Dokumentenverarbeitung: Da wir viele Softwareanbieter in diesem Marktsegment haben, hielte ich es für sinnvoll, ein Datenformat zu haben, das unter internationaler Kontrolle entwickelt wird und das alle Entwickler gleichermaßen in ihre Anwendungen implementieren können. Und - was für ein Glücksfall! - genau das leistet das Open Document Format (ODF) im Bereich der Bürosoftware. Das Ziel: Jede Behörde, jedes Unternehmen, jede Schule und jeder private Haushalt kann mit jedem x-beliebigen Office-Programm jedes x-beliebige Dokument von jedem x-beliebigen Anwender lesen und ändern, und zwar weltweit! Bisher war das ja immer so eine Sache - vielleicht haben Sie ja auch schon mal eine Datei zugeschickt bekommen, die Sie nicht öffnen konnten? Dieser sogenannte lock-in Effekt hat bisher bei den einen regelmäßig zu Verdruß, bei Microsoft regelmäßig zu exorbitanten Gewinnen geführt. Entsprechend umgekehrt werden sich Freud und Leid verteilen, sollte mit diesem Gefängnis künftig Schluß sein. Soweit zur Sinnfrage.

Allein die Tatsache allerdings, daß prinzipiell jeder Softwareentwickler das Datenformat implementieren kann, macht ODF aber noch lange nicht zu einem Standard. Dazu mußte ODF von der Organization for the Advancement of Structured Information Standards (OASIS) auf Basis des XML-Formats vom OpenOffice-Projekt entwickelt und von der Internationalen Standardisierungsorganisation (ISO) als Standard veröffentlicht werden. Das wiederum hat Microsoft dazu bewogen, sein eigenes Datenformat openXML als Standard vorzuschlagen. Bei der Herstellerorganisation ECMA traf die Idee auf Zustimmung. Und so landete OpenXML zur endgültigen Verabschiedung bei der ISO. Soweit zur Historie.

Wir wollen uns aber hier nicht mit Fragen zu Sinn und Unsinn oder der Geschichte aufhalten, sondern mit den (un-)praktischen Dingen des Lebens beschäftigen. Unpraktisch finde ich, daß openXML auf einer Reihe von nicht veröffentlichten Spezifikationen beruht. Wie aber soll ein Dritter einen Standard implementieren, dessen Spezifikation nicht offen liegt? Wie soll die ISO sachkundig über openXML entscheiden, wenn die Fakten unbekannt sind? Im »wahren Leben« wäre das wohl etwa so, wie wenn Sie zum TÜV fahren und verlangen, daß der Prüfer aber nur von außen bei geschlossener Motorhaube gucken darf.

Als mindestens unklar ist openXML aus juristischer Sicht zu bewerten: Rein formal gesehen, hat überhaupt nur Microsoft das Recht, seinen Standard zu lizenzieren. Dies ist in der Lizenz so vorgesehen. Hinzu kommt, daß der Standard von Softwarepatenten infiziert ist, deren Ansprüche in den USA sogar durchgesetzt werden können. Andererseits wird der Konzern nicht müde, zu beteuern, daß kein Entwickler wegen der Verletzung von Patenten verklagt wird. Unzweideutig allerdings ist, daß Microsoft sich ein Veto-Recht für Änderungen des Standards vorbehält.

Aber offenbar sind zumindest die Anwender lernfähig: Der US-amerikanische Bundesstaat Massachusetts schreibt seinen Behörden seit 1. Januar den Einsatz von ODF zwingend vor. Weitere Bundesstaaten stehen vor dieser Entscheidung. Im finnischen Justizministerium ist dieser Prozeß ebenso mittlerweile zu Gunsten von ODF abgeschlossen. Ein Gremium der Europäischen Union hat Ende Januar empfohlen, ODF einzusetzen. Einen Überblick über die Standardisierungsbestrebungen in Europa werden sich Regierungsvertreter bei einem Workshop in Berlin am 1. März verschaffen können.

Und wenn erstmal die Datenformate einheitlich sind, ist der Schritt zur freien Software gar nicht mehr so weit. Diese Erfahrung konnten die Schulen in Italien und die gesamte Verwaltung der spanischen Extremadura bereits seit Jahren machen.

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