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Fr, 6. Mai 2011, 11:36

Software::Desktop

XFree86: Der lebende Tote

Knapp 20 Jahre nach der Gründung des einstigen Vorzeigeprojektes ist die Entwicklung von XFree86 nicht mehr existent. Auch wenn es seitens offizieller Stellen noch keine Nachricht gibt, wurde das Projekt faktisch eingestellt.

XFree86

XFree86 stellt eine freie Implementierung der Grafikschnittstelle »X Window System«, oder X11, dar. Das System wurde 1991 von David Wexelblat, Glenn Lai, David Dawes und Jim Tsillas initiiert und fokussierte ursprünglich die Korrektur von Fehlern im Quellcode des X-Servers X386. Nachdem neue Versionen von X386 allerdings nur noch kommerziell vertrieben wurden, entschied sich der Entwicklerstamm, das Paket umzubenennen und unter einem eigenen Namen zu entwickeln. XFree86 (X-free-eighty-six) – eine Anspielung auf den Namen X386 (X-three-eighty-six) war geboren.

Mangels geeigneter freier Alternativen, oder einfach nur bedingt durch seine Funktionalität, wurde XFree86 faktisch zum Standard unter allen freien und kommerziellen Distributionen. Mit dem Siegeszug der grafischen Oberflächen bildete XFree86 eine feste Grundlage beinahe aller Linux-Systeme. Die Verbreitung des Systems konnte allerdings nicht über die strukturellen Probleme und Missmanagement hinwegtäuschen. Hinter den Kulissen brodelte es gewaltig. Machtkämpfe und Animositäten gehörten zur Normalität.

Während die Entwicklung von XFree86 öffentlich war und es jedem freistand, etwas beizutragen, hatte nur eine begrenzte Zahl von Entwicklern, das Kernteam, Schreibrechte für das CVS. Jener Stamm entschied auch über die künftige Marschrichtung des Projektes und setzte die Funktionalität fest. Da es aber zuweilen nicht nur die Wünsche der Entwickler und Anwender ignorierte, sondern sich auch als ein elitärer Kreis sah, führte diese Haltung zunehmend zu Spannungen mit anderen Gruppierungen.

Der Siegeszug von Linux beflügelte auch XFree86. Hier FVWM2

Kristian Peters

Der Siegeszug von Linux beflügelte auch XFree86. Hier FVWM2

Zu einer ersten Erschütterung innerhalb des Projektes kam es, als der prominente XFree86-Entwickler Keith Packard aus dem Kernteam ausgeschlossen wurde. Packard hatte laut Aussagen des Vorstands ein Verhalten an den Tag gelegt, das den Interessen von XFree86 zuwider lief. Er plante laut Dawes unter anderem eine eigene Version von XFree86 und wollte eine geschlossene Gruppe von Interessenten um sich scharen. Packard selbst erklärte, so weit wie möglich innerhalb der Grenzen von XFree86 versucht zu haben, die Lage zu verbessern. Dazu habe er mit den einzelnen Personen der X-Gemeinschaft geredet. Er forderte zudem eine offenere Entwicklung und mehr Demokratie, was auch die beiden großen Umgebungen Gnome und KDE bereits seit geraumer Zeit verlangt haben.

Der Hinauswurf Packards hatte allerdings noch weit größere Konsequenzen. Denn Packard war nicht nur ein begnadeter Entwickler, sondern auch der Innovations-Motor innerhalb der Gruppe. Auf sein Bestreben integrierte das System zahlreiche Funktionen, die jenseits von Treiberkorrekturen und Marginalverbesserungen angesiedelt waren. Weit schwerwiegender war allerdings die tatsächliche Gründung eines neuen Projektes unter den Fittichen der freedesktop.org-Gruppierung, das unter der Ägide von Packard künftig eine gewichtige Rolle spielen sollte. Denn nur ein Jahr später sollte X.org, das auf XFree86 aufbauende Projekt von Packard, maßgeblich zum Untergang des Originals beitragen.

Stein des Anstoßes war dabei eine Änderung der Lizenz von XFree86 in der Version 4.4. Wie der durchaus liberalen Lizenz entnommen werden konnte, konnten alle Programme unter der »XFree86 License 1.1« ohne Veröffentlichung des Quellcodes verändert, vertrieben und beworben werden. Neu hin kam allerdings eine Klausel, die besagte, dass jede Distribution und jedes Produkt, das XFree86 enthält, einen Vermerk entweder in der Dokumentation oder in der Applikation selbst auf XFree86 anbringen muss. Das war allerdings für die Distributoren problematisch, denn gerade jene Klausel stellte eine massive Inkompatibilität zur GPL dar.

Die Reaktionen auf die Änderung der Lizenzbestimmungen konnten für das Projekt nicht verheerender ausfallen. Während die Nutzerschaft eher verhalten reagierte, zeigten sich die Entwickler und die Distributoren mehr als besorgt. Bereits kurze Zeit später wurde klar, dass kaum ein Produzent die problematische Lizenz tragen und dem entsprechend auch die neue Version des Systems nutzen würde. XFree86 geriet nicht nur unter Beschuss, sondern manövrierte sich vollständig ins Abseits. Denn im Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen zwischen der Nutzerschaft und dem Projekt stand mit Packards X.org ein Projekt in den Startlöchern, das XFree86 nicht nur ersetzen konnte, sondern vollständig obsolet machte. Das alte Projekt wurde verzichtbar.

KDE 1.0 unter XFree86

KDE 1.0 unter XFree86

Mit der Freigabe der Version 4.5.0 knapp ein Jahr später wurde der Untergang von XFree86 erstmals deutlich. Das Fehlen von neuen herausragenden Funktionen machte sichtbar, dass trotz einer euphorischen Ankündigung die Bedeutung von XFree86 massiv nachließ. Auch die Zahl der Entwickler schrumpfte rapide. Fast alle bedeutenden Linux-Distributionen setzten mittlerweile auf X.org anstelle von XFree86. Mit der Freigabe von XFree86 4.8.0 Ende 2008 wurden erste Anzeichen einer Agonie sichtbar.

Von den ehemals 250 Entwicklern, die an XFree86 gearbeitet haben, ist heute keiner mehr vorhanden. Zuletzt zeichneten sich neben dem Gründer David Dawes nur noch Marc Aurele La France für vereinzelte Patches verantwortlich. Doch entgegen der Aussage auf der Webseite ist das Projekt mittlerweile komplett zum Erliegen gekommen. Wie La France auf Nachfrage von Pro-Linux bestätigte, findet mittlerweile keine aktive Arbeit mehr an XFree86 statt. Dies belegen auch die letzten Patches, die zuletzt vor genau zwei Jahren öffentlich an das Projekt übergeben wurden.

Ob je eine neue Version von XFree86 erscheinen wird, ist mehr als fraglich. La France selbst sieht kaum Chancen, dass es dazu kommen wird. Dawes reagierte nicht auf Anfragen. Fest steht aber, dass XFree86 aus heutiger Sicht ein gestorbenes Projekt darstellt, das nicht nur technisch, sondern auch politisch keine Chance mehr hat. Denn trotz des Sturms der Entrüstung änderte das Projekt die fragliche Lizenz bis heute nicht.

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Kommentare (Insgesamt: 30 || Alle anzeigen )
Re: Und wieder was gelernt... (hosi, So, 15. Mai 2011)
Re[6]: Schade (llklklklklkl, Fr, 13. Mai 2011)
Re[5]: Schade (_Michael_, Fr, 13. Mai 2011)
Re: Und wieder was gelernt... (abcd, Mo, 9. Mai 2011)
Re[5]: 2 Seiten einer Medaille (hila, Mo, 9. Mai 2011)
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