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Sa, 6. April 2002, 21:16

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Computerfreaks gingen für Informationsfreiheit auf die Straße

Presseerklärung des Chaos Computer Club: Zum ersten mal in ihrer Geschichte riefen der Chaos Computer Club und die Online-Demonstrations-Initiative ODEM zu einer Straßen-Demonstration auf.

Unter dem Motto "Wegfiltern ist Wegschauen" demonstrierten Sie gegen den Versuch der Bezirksregierung Düsseldorf, den Internet-Nutzern in Nordrhein-Westfalen nur noch einen eingeschränkten Netzzugang zu ermöglichen.

Für das Recht, sich ungefiltert mit gesellschaftlichen Realitäten auseinandersetzen zu können verließen die Computernerds die Netze und gingen auf die Straße. Unterstützt wurden sie dabei von Publizisten, Politikern und Bürgerrechtsorganisationen, die vor einer Internetzensur einhellig warnten.

Am Samstag um 14:00 Uhr sammelte sich der Demonstrationszug in der Düsseldorfer Innenstadt. Die Teilnehmer waren aus dem ganzen Bundesgebiet angereist. Nach dem Start schlängelte sich der Demonstrationszug durch die Düsseldorfer Innenstadt, und schließlich am Rhein entlang zur Bezirksregierung.

Auf großen Transparenten und Plakaten mit Schlagworten wie "Zensur, in China, Irak und NRW", "Zensur ist kein Konzept" machten die Teilnehmer ihren Ärger über die Zensurversuche des Regierungspräsidenten Büssow Luft.

Ursächlich sind Sperrungen von im Ausland gelagerten Websiten, dessen Inhalte Anlass zu breiten gesellschaftlichen Debatten über Fremdenhass und rechtsradikale Strömungen in Deutschland sein sollten. Mit dem primitiven Versuch, derartige Inhalte für Internetbenutzer unsichtbar zu machen wird allerdings die gesellschaftliche Realität eher geleugnet.

"Die Herstellung eines Klimas von kultureller Akzeptanz und die Auseinandersetzung auch mit extreme Strömungen im Rahmen eines gesellschaftlichen Disputs sehen wir durch eine staatliche Filterung der Netzkommunikation gefährdet" erklärte CCC Sprecher Andy Müller-Maguhn die Motivation der Veranstalter.

Auf einem Demonstrationswagen bauten sich Computerfreaks vor ihren mitgebrachten Computern mit verklebten Mündern und Händen auf, um aufzuzeigen, dass nicht nur das Recht auf Informationsverbreitung, sondern auch das Recht auf Informationsbeschaffung unterbunden würde.

Die Organisatoren der Demonstration zeigten sich erfreut über den Erfolg der Aktion. "Wenn wir es schaffen, etwa 235 Computerfreaks vom Bildschirm weg auf die Straße zu locken, ist das Ausdruck eines ernsten Anliegens" erklärte Ingo Schwitters vom CCC Köln am Rande der Demonstration.

Dem durch das große Medienecho der Demonstration überraschten und kurzfristig angereisten stellvertretende Regierungspräsident der Bezirksregierung Düsseldorf Herr Riesenbeck wurde von den Demonstranten die "rote Netzwerkkarte" als Mahnung der Zensurgegner überreicht.

Zu einer Überraschung kam es, als der Vertreter der Bezirksregierung eine Unterschriftenliste gegen die Filterpläne entgegennehmen wollte. Im Augenblick der Übergabe des beeindruckenden Papierstapel, der über 6500 Unterschriften enthält, löste sich plötzlich ein als Ordner verkleideter Demonstrant aus der Menge, und nahm dem völlig verdutzen Herrn Büssow den Karton mit den Unterschriften wieder aus der Hand.

"Herr Büssow - leider können wir nicht zulassen, dass sie sich mit diesen Demonstranten näher befassen" sagte der Demonstrant, und verschwand mit der Unterschriftenliste in der Menge. Als Ersatz reichten die Organisatoren Herrn Riesenbeck ein paar Ausgaben Micky-Mouse Hefte und Werbeprospekte. Dies sei, so die Organisatoren, das was überbleibt, wenn im Netz eine heile Welt vorgespielt wird. Herr Büssow wollte die Mickey-Mouse Realität allerdings auch nicht entgegennehmen.

Die Unterschriftenaktion gegen Netzzensur (http://www.odem.org/informationsfreiheit/) wird noch bis zum Sommer weiterlaufen, und erst dann offiziell übergeben werden.

Die Pressestelle der Bezirksregierung ließ unterdessen verlauten: "Wenn solche Angebote jederzeit im Internet abgerufen werden können, wird der Eindruck vermittelt, neonazistische Inhalte seien gesellschaftsfähig."

Zensurgegner Ingo Schwitters kommentierte dies mit dem Einwand, dass "wenn immer weniger Jugendliche über die Greultaten des dritten Reiches aufgeklärt sind und gleichzeitig rechte, menschenverachtende Seiten ausgeblendet werden, nimmt die Gefahr zu, dass arglose Jugendliche um so empfänglicher für rechte Gewaltgruppen sind."

Die Demonstranten forderten auf Plakaten "Konzepte gegen Rechts statt Filter" und "Bilden statt Filtern".

"Das eigentliche Problem sind nicht die Internetseiten selbst, sondern die Menschen, die diese machen und sehen wollen.", stellt André Kasper von den JungdemokratInnen NRW fest. "Zensur kann gesellschaftliche Probleme nicht lösen, sondern lediglich verstecken. Der Politik ist es in den letzten Jahren nicht gelungen erfolgreich gegen Rassismus vorzugehen. Vielmehr wurde der Rassismus in der Gesellschaft durch Anti-Terror-Gesetze, Rasterfahndung, usw. vorangetrieben. Durch Zensur versucht die Politik jetzt sich vor ihrer politischen Verantwortung hierfür zu drücken."

"Es ist naiv zu glauben, dass es den Befürwortern von Internet-Zensur um Rechtsextremismus geht", so Alvar Freude, Gründer der Internet-Initiative ODEM.org während seiner Rede auf einer mobilen Bühne "Hier wird versucht, unter dem Vorwand des Kampfes gegen Nazis ein weitreichendes Zensursystem zu etablieren." Zu viele Interessengruppen würden auf ein gefiltertes Internet drängen, und die Bezirksregierung sich als Marionette missbrauchen lassen. "Wir müssen uns jetzt gegen die Zensur-Versuche wehren, denn bald ist es zu spät!" So sei in der jetzigen Sperrverfügung schon die mögliche Sperrung von Suchmaschinen angedeutet worden.

In einer eiligst veröffentlichen Pressemitteilung forderte die Bezirksregierung andere Provider in Deutschland auf, nicht gegen die Sperrverfügung vorzugehen "Würden alle Provider in der Bundesrepublik Deutschland die unzulässigen rechtsextremistischen Angebote sperren, wären diese faktisch für 70 - 80 Prozent der Nutzer nicht mehr erreichbar."

Andy Mueller Maguhn, ICANN- Direktor und CCC-Sprecher erklärte in seinen Redebeitrag "In der Wirtschaft gibt es bereits Interessen noch viel umfassender die Informationsfreiheits des Internets den kommerziellen Begehrlichkeiten zu opfern und Filterprodukte zu verkaufen. Hinter den Versuchen der Bezirksregierung in Düsseldorf stehen die wirtschaftlichen Interessen der in Bonn ansässigen Firma Bocatel. Ähnliche Produkte werden bereits von der Musikindustrie gefordert. Hier beginnen wirtschaftliche Interessen, einen Kulturraum zu zerstören."

padeluun, Künstler und Veranstalter des deutschen Big-Brother-Awards, forderte, dass Politik und Verwaltung endlich nachsitzen, und ihre Hausaufgaben zur Netzgestaltung machen. "Weg vom Irrweg der Informationsgesellschaft, hin zu einer Erforschung und Gestaltung der Kommunikationsgesellschaft. Zensur ist immer falsch. Zensur ist kein adäquates Handlungsmittel in einer Demokratie. Es ist lediglich eine symbolische Handlung. Diese symbolische Handlung ist teuer erkauft: Sie kostet fundamentale demokratische Werte. Es ist sinnlos, die Freiheit dadurch zu schützen zu wollen, dass man sie abschafft. Ich erwarte von einer sich als demokratische verstehenden Regierung, dass sie diese demokratischen Werte anerkennt und verteidigt."

"Das Ziel der Demonstration ist bereits jetzt erreicht.", sagte Lars Weiler vom Chaos Computer Club Düsseldorf, "Wir hatten eine für uns überraschend breite Resonanz in der Bevölkerung, und haben die Internetzensur-Problematik so in die breitere Öffentlichkeit getragen. Wir hatten eine sehr schöne Demonstration, an dessen Stimmung man sich gerne zurückerinnern wird"

Bilder und Berichte von der Demo, Demonstrationsaufruf: http://www.netzzensur.de/ (siehe "Live-Berichterstattung", Bilder sind zur Veröffentlichung freigegeben)

Unterschriftenliste gegen Zensur: http://odem.org/informationsfreiheit/

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