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Mo, 12. Juni 2006, 00:00

Nachgefragt! Debian-Projektleiter Anthony Towns

Debian-Projektleiter Anthony Towns und sein Stellvertreter Steve McIntyre geben Auskunft über das Debian-Projekt, die Arbeit des Projektleiters und die zukünftige Ausrichtung. Die Fragen wurden von Pro-Linux aus den Vorschlägen der Leserschaft ausgewählt.

Von ThomasS

Vorwort

Im letzten Monat baten wir die Leser und Leserinnen von Pro-Linux, sich Fragen an den Debian Projektleiter (DPL) zu überlegen, und konnten eine rege Beteiligung feststellen. Das Thema war offenbar interessant genug und rief viele Kommentare, kritische Anmerkungen und Fragen hervor. Aus allen Einsendungen wählten wir zehn Fragen an das Debian-Projekt aus. Neben dem DPL Anthony Towns erklärte sich Steve McIntyre, einer seiner Stellvertreter, zusätzlich bereit, sich den Fragen unserer Leser zu stellen. So haben wir zu den meisten Fragen nicht nur eine, sondern zwei Antworten erhalten.

Das Interview

Leserfrage: Hat der Weggang von Martin »Joey« Schulze und seine Kritik an den Betreibern der FTP-Server eine ernsthafte Diskussion nach sich gezogen?

Anthony: Da ein Teil der Kritik auch an mich gerichtet war, überlasse ich Steve die Beantwortung dieser Frage, da er unparteiischer in dieser Angelegenheit ist.

Steve: In diesem besonderen Fall des Release-Managements von Debian Stable haben wir nun ein Team von Leuten eingesetzt, die die alltägliche Arbeit verrichten. Allgemein sind wir jetzt darum bemüht, die Kommunikationsprobleme, die letztlich der ganzen Sache zugrunde liegen, zu klären. Es mag eine Weile dauern, bis sich die Dinge in sichtbarer Weise ändern, dennoch kommen wir voran.

Leserfrage: Als Debian-Projektleiter ist man sicherlich mit vielen alltäglichen Aufgaben absorbiert, z.B. Bürokratie, Grundstzdiskussionen oder ähnlich gelagerte Anforderungen. Haben Sie einen persönlichen Traum oder eine Vision zu Debian in ferner Zukunft?

Steve: Ich würde es begrüßen, wenn wir in naher Zukunft eine Reihe von Problemen der Vergangenheit lösen könnten, wie etwa zu lange Release-Zyklen. Noch weiter in die Zukunft geschaut, würde ich gerne die gegenwärtigen Ziele des Projektes verwirklicht sehen, das beste freie Betriebssystem zu schaffen mit allen Anwendungen, die von unseren Nutzern benötigt werden.

Anthony: Ich bin gespannt, wie Debian sich aus eigener Kraft weiterentwickelt. Dabei sind für mich die Überraschungen manchmal viel erfreulicher als die Dinge, die sich wie erwartet entwickeln oder erwartet werden. Eine erfreuliche Sache wäre für mich, wenn wir unseren Benutzern mehr Verlässlichkeit geben, ob das nun ein erweiterter Sicherheitssupport, verbesserte Uptime-Garantien oder die Entwicklung von benötigten Features in kommerziell verlässlicher Weise im Rahmen einer gemeinsamen Kraftanstrengung bedeutet, die Debian bereits zu einem Erfolg gemacht haben.

Leserfrage: Verursacht die relativ kurze Amtszeit des DPL von 12 Monaten nicht unnötige Schwierigkeiten, z.B. für das Management von Release-Zyklen? Sollte die Amtszeit eines DPL länger dauern?

Anthony: Ich denke nicht, dass der jährliche Wahlturnus das Problem ist. Weitaus problematischer ist die Zeit, die durch den Wahlvorgang selbst beansprucht wird. Drei Wochen nur für die Nominierungen sind ziemlich viel. Alle diesjährigen Kandidaten haben sich erst in der letzten Woche der ablaufenden Wahlfrist nominiert. Die Dauer des Wahlvorgangs könnte durchaus von drei auf zwei Wochen reduziert werden. Eigentlich hat es bisher gut funktioniert, eine längere Amtszeit würde wahrscheinlich in einem schnellen Burnout des DPL enden - keiner der vergangenen DPLs hat bislang länger als zwei Jahre durchgehalten!

Steve: Ich denke, eine zwölfmonatige Amtszeit ist eigentlich ganz in Ordnung. Sie sollte lang genug sein, dass der DPL seinen Job ohne Schwierigkeiten erledigen kann. Die Zeitspanne sollte aber auch kurz genug sein, sodass sich kein Burnout beim DPL einstellen kann. Wie sich am Beispiel der bisherigen Projektleiter zeigt, ist die effektive Leitung ein zeitaufwendiger Job. Im Falle einer kürzeren Amtszeit können sie schon mal die erforderliche Zeit investieren. Na ja, fragt Anthony das nochmal in neun Monaten und schaut, ob sich seine Haltung dazu geändert hat ! :-)

Leserfrage: Die zunehmende Popularität von Ubuntu könnte Debian auf lange Sicht zum Nachteil gereichen. Einige hypothetische Gründe für diesen fortschreitenden Prozess sind die Verfügbarkeit eines grafischen Installers, stabile und neuere Software, schnellere bzw. verlässlichere Release-Zyklen und ein aggressiveres Marketing von Ubuntu, um einige zu nennen. Haben Sie irgendeine Strategie, um Debians Position gegenüber Ubuntu zu stärken?

Anthony: Das sind berechtigte Sorgen - Debian hat sich in der Vergangenheit immer sehr schwer getan mit der Beziehung zu seinen Derivaten. Das bedeutete, dass Leute entweder Debian beitreten und direkt an der Distribution arbeiten mussten oder ihre Beiträge keine Berücksichtigung durch das Projekt fanden. Damit sind wir bis zu einem gewissen Punkt auch ganz gut gefahren. Allerdings macht es als Gemeinschaft, die Freiheit sehr hoch einschätzt, wenig Sinn, zu sagen: Wenn ihr unsere Software auf diese Weise nutzt, dann akzeptieren wir eure Beiträge. Wenn ihr sie allerdings auf andere Weise nutzt, dann ist das nicht akzeptabel.

Ich denke, dass wir unsere bisherige Sichtweise in diesem Punkt erweitern müssen, nämlich dass Ubuntu und andere Derivate, ihre Entwickler und Nutzer gleichermaßen direkt oder indirekt zu Debian beitragen. Wir sollte ihre Beiträge positiver bewerten und nach Wegen suchen, sie in Debian zu integrieren. Wir sollten sie fördern und nicht eine Nullsummen-Sicht einnehmen, nach der der Gewinn der anderen automatisch ein Verlust für uns nach sich ziehen muss.

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