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Mo, 1. April 2002, 00:00

Editorial: Wie wird es mit Freier Software weitergehen?

Diese Frage habe ich mir in letzter Zeit öfters gestellt. Mir geht es jetzt nicht um den Siegeszug von Linux auf dem Desktop, sogar gar nicht um Linux im speziellen, obwohl man an diesem prominentestem Vertreter der Szene nicht vorbeikommt. Linux soll hier nur als Beispiel für das System Freie Software als Ganzes dienen. Dadurch werden meine Gedanken hoffentlich anschaulicher.

Es sind nun schon über 18 Jahre ins Land gezogen, seit dem Richard M. Stallman mit der Entwicklung des GNU Systems begonnen hat und somit die Geburtsstunde der Freien Software eingeleitet hat. Das ist eine Menge Zeit, in der viel passiert ist. Linux hat das Licht der Welt erblickt, und wurde zu einem ernsthaften Konkurrenten für Microsoft. Durch KDE und GNOME konnte Linux auch auf dem Desktop punkten, die Distributionen werden immer besser und populärer und tragen ihren Teil dazu bei. Aber auch GNU/Hurd nähert sich seiner Fertigstellung. Das sind nur die augenscheinlichsten Erfolge, die die FS-Szene für sich verbuchen kann.

Von vielen Seiten wird behauptet, dass Linux nun erwachsen wird. Aber mit diesem Erwachsenwerden kommen auch die Probleme. Linux ist längst kein bloßes Hackerbetriebssystem. Linux ist Big Business geworden, und somit zur Konkurrenz für etablierte Unternehmen, die keinen Millimeter zurückweichen. Der größte Konkurrent, Microsoft, war anfänglich überrumpelt vom Erfolg von Linux. Mittlerweile aber konnte Redmond seine Kräfte wieder sammeln und zum Angriff übergehen. Die Wirtschaftsflaute, die Linux viel stärker in Mitleidenschaft gezogen hat, als Microsoft, und die riesigen Kapitalreserven, die Microsoft zur Verfügung stehen, tragen ihren Teil dazu bei. Dazu kommt noch, dass das Kartellverfahren gegen Microsoft sich in die Länge zieht und am Schluss vielleicht nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Während also Linux sich nach dem Hype an den Abschwung gewöhnen muss, und die Juristen sich vor dem Gericht bekriegen, setzt Microsoft eine riesige Maschinerie in Bewegung, um sein .NET auf den Markt zu drängen, im Zusammenspiel mit Pocket PC 2002, Pocket PC 2002 Smartphone Edition, Windows XP (embedded), Windows Media Player, MSN, etc. Microsoft überall, damit man für jede Entwicklung gerüstet ist. Sollte der PC wirklich seinem Ende entgegengehen, Microsoft ist dafür bestens gerüstet. Wie aber wird sich die FS Szene auf die neuen Entwicklungen einstellen? Kann sie schnell genug reagieren? Je modularer die Technik wird, umso wichtiger werden Standards, Freie Software lebt von offenen Standards, nur wie sollen die gegen so mächtige Konkurrenz durchgesetzt werden? MPEG-4 ist ein Beispiel dafür, wie schnell man sich so eine Chance verbauen kann. Microsoft Office ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schwer es ist, sich auf offene Standards zu einigen, und diese auch gegen etablierte "Standards" durchzusetzen. Linux ist also groß genug, um den Unmut anderer auf sich zu ziehen, aber bei weitem nicht groß genug, um bei wichtigen Entscheidungen mitmischen zu können, wie z.B. bei der Debatte über CBDTPA. Linux hat keine Lobby und kann demnach keinen Einfluss auf die Politik ausüben. Aber diese Politik entscheidet über die Zukunft von Linux und dem System Freie Software im Ganzen.

Die Gefahr für Freie Software geht aber nicht nur von monopolistischen Unternehmen und gelobbten Politikern aus. Die Gefahr für Freie Software geht von deren Usern selbst aus. Im Bio-LK habe ich gelernt, dass das Gleichgewicht zwischen Konsumenten und Produzenten für ein Ökosystem existentiell ist. Gibt es nicht genügend Produzenten, dann können auch die Konsumenten nicht mehr überleben. Ist ja auch logisch, denn ohne Nahrung geht man zugrunde. Leider gerät das Gleichgewicht in der FS Szene langsam aus dem Ruder. Es gibt immer mehr Konsumenten, aber der Anteil der Produzenten steigt nicht Proportional dazu an. Freie Software lebt aber davon, dass die Konsumenten zugleich auch Produzenten sind. Verschiebt sich das Gleichgewicht nun in Richtung der Konsumenten, so wird das bedrohlich für die Weiterentwicklung Freier Software.

Beispiele:

Je weniger User bereit sind, die Vor-Versionen eines aktuellen Kernels zu testen, umso weniger Fehler werden gefunden, und umso länger dauert dessen Entwicklung. Hilft keiner bei den Übersetzungen von KDE oder GNOME mit, so werden diese Programme nur in wenigen Sprachen verfügbar sein. Hilft keiner bei der Betreuung der Webseiten mit, dann wird es diese Seiten nicht geben. Die Mithilfe bei solchen Projekten ist also im ureigensten Interesse des Konsumenten, sonst hat er irgendwann nichts mehr zu futtern.

Wie sieht also die Zukunft für Freie Software aus? Ist diese Bewegung nach 18 Jahren an ihrem Ende angelangt? Kann sie in dieser Welt bestehen, oder wird sie untergehen, und wie schon viele ehrgeizige Projekte zuvor, in der Versenkung verschwinden? Ist Freie Software nur eine nette, aber leider auch utopische Wunschvorstellung?

Wir haben es in der Hand, das zu entscheiden!

Dieser Text unterliegt der GNU Free Documentation License (FDL).

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