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So, 9. Oktober 2005, 00:00

Ein Blick auf die Linux-Community

Man begegnet ihr überall, wenn man sich im Netz zum Thema Linux informieren möchte: Der Linux-Community. In den verschiedensten Websites, Foren und Usenet-Groups zum Thema Linux ist sie zu Hause. Und das ist wichtig, denn schreiben nicht sämtliche verfügbaren Fachzeitschriften, dass man sich bei Problemen mit diesem Betriebssystem an eine riesige Gemeinschaft wenden kann, die nichts anderes zu tun hat, als jedermann mit seinem Linux-Problem weiter zu helfen? Da ist doch eine genauere Betrachtung dieser Gruppe von Menschen ein wertvolles Studiengebiet.

Beim Versuch einer solchen Betrachtung beginnen die Probleme sozusagen schon vor dem Projekt. Denn "die Linux-Community" existiert in einer solchen verallgemeinerten oder gar homogenisierten Form nicht.

Beginnen wir einfach mal mit der Untersuchung der Zugehörigkeitsfrage. Macht die reine Tatsache, dass ich auf Pro-Linux vorbeisurfe, mich schon zu einem Mitglied der "Community"? Muss ich dazu Linux auch tatsächlich einsetzen? Wenn ja, reicht auch schon ein unter Windows mittels Wizard zusammengestelltes fli4l dazu? Oder gilt man auf der anderen Seite erst als Vollmitglied, wenn man die Linux Kernel Mailing List (LKML) abonniert und mindestens drei Patches in den Kernel gebracht hat?

Beide Extreme taugen nicht als Kriterium. Mangels echter Nachprüfbarkeit können wir die Linux-Community erst einmal nur so definieren, dass jeder, der sagt, er wäre Mitglied, auch eines ist - zumindest, solange nicht allzuviele Diskussionsteilnehmer widersprechen. Unter dieser Prämisse bietet schon die News-Abteilung von Pro-Linux ein fruchtbares Biotop, wenn man vereinzelte "Ich-nutze-nur-Windows-und-weiss-gar-nicht-was-ich-hier-soll"-Trolle außen vor läßt.

Es verwundert kaum, dass eine solche "Community" keine so homogene Gruppe ist, wie der Name suggeriert. Werfen wir mal einen Blick auf einige der vorhandenen Fraktionen.

Da wären die "Vereinheitlicher", für die es nur einen Desktop, ein Paketmanagementsystem, am besten nur eine einzige Distribution geben dürfte, damit alle Kräfte gebündelt werden können und das Rad nicht mehrfach erfunden werden muss. Der Hinweis darauf, dass so ein System schon unter dem Namen "Windows" existiert, wird aber meist nicht verstanden. Deren Gegenstück sind die "Darwinisten", die mehrfache Lösungen zu ein und demselben Problem als wertvolle Mutationen betrachten. Die beste Lösung wird sich schon durchsetzen - und wenn nicht, hat man zumindest eine schädliche Monokultur verhindert. Motto: "Choice is good, even more choice is even better!" Schließlich braucht jeder Mensch jede Menge verschiedene Editoren, mehrere Window-Manager, drei Web-Server sowie DevFS und udev.

Sehr weit verbreitet sind auch die "Softwarebefreier". Sie haben natürlich nur freie Software auf ihrem GNU/Linux-System installiert, denn Closed-Source-Software muss ja zwangsläufig schlechter, unsicherer oder gar voller Spyware sein. Wenn freier Software dagegen einmal Features fehlen sollte, werden diese praktischerweise als irrelevant abgetan. Dass die Zukunft der Softwarewelt in freier Software liegen muss, ist dagegen den "Closed-Source-Sympathisanten" vollkommen egal. Hauptsache, dass die Software, die sie brauchen, unter Linux läuft und dass ihre Hardware durch Linux unterstützt wird. Und wenn es den Treiber nur als Closed Source gibt, dann sollen die Linux-Entwickler gefälligst mal dafür sorgen, dass der Treiber auch in 10 Jahren noch in einem aktuellen Kernel laufen kann. Es kann ja wohl nicht so schwer sein, im Kernel ein ABI nach fremden Wünschen zu pflegen!

Auch die Simplifizierer sind sehr lautstark vertreten. Der Kampfschrei "Linux muss einfacher werden!" wird meist untermalt von grauenhaften Geschichten, in denen man Stunden damit zubrachte, irgendwelche Software zu kompilieren/konfigurieren oder an Hardware verzweifelte, die unter Windows "einfach funktioniert". Von ihren Gegenspielern, den Konsolen-Fetischisten, ernten sie aber meist nur ein müdes "RTFM", "Dann bleib doch bei Deinem Klicki-Bunti-OS" oder "Kauf Dir halt was Vernünftiges", wenn sich diese denn überhaupt von den Compilermeldungen losreißen können, die im Fenster daneben vorbeiscrollen.

Den Typ Distri-Fan gibt es in x-beliebiger Anzahl und ist daher sein eigener schärfster Gegner. Ob SuSE, Red Hat/Fedora, Debian, Mandriva, Slackware, Gentoo, Knoppix, (K)Ubuntu, Kanotix, ArchLinux, GoboLinux bis hin zu LFS - keine Linux-Distribution, und sei sie noch so klein, die nicht über eine überzeugte Anhängerschar verfügt. Denn schließlich ist die eigene Distribution die einzige, die alles richtig macht. Nur was "richtig" ist, darüber scheiden sich wieder die Geister: Paketmanagement, Bootvorgang, Platzbedarf, angebotene Software, Hardware-Erkennung, Anpassbarkeit, Optimierung...

Wenn man sich nun vor Augen hält, dass die Benutzung von Linux das eigentlich verbindende Element all dieser Typen sein soll, könnte einem schwarz vor denselben werden. Was für eine Zukunft kann denn diese arme Betriebssystem noch haben, wenn die ureigenste Gefolgschaft so von Grabenkämpfen durchzogen ist?

Um zu sehen, wohin es geht, muß man schauen, woher man kommt. Die Linux-Community war noch nie anders, und trotzdem hat Linux seinen Weg in der Welt gemacht - oder gerade deswegen. Woher diese Diskrepanz?

Wenn man lediglich News-Kommentare auf Pro-Linux, Slashdot oder Heise betrachtet, wird die Wahrnehmung verzerrt. Extreme Ansichten werden mit ebensoviel Energie und gleichermaßenem Mangel an Einsicht vertreten. Im Vergleich zu diesem Donnerwetter an Trollpostings, Egozentrik und Tunnelblicken fallen die wirklich wichtigen Nachrichten kaum mehr auf.

Ob es die Nachricht über eine neue Version einer Software ist oder der ausführliche Bugreport, der zum Beheben des Fehlers führte; ob es die Antwort auf ein Problem ist, welches im Forum gepostet wurde oder auch nur die Anfrage nach mehr Informationen, um die Frage überhaupt beantworten zu können; ob es ein frisch gemaltes Icon oder Wallpaper ist, um die eigene tägliche Arbeit versüßen, welches nun zum Download für andere bereitsteht: Nichts von alledem macht sich von alleine. Hinter jedem Punkt steckt irgendwo ein Mensch, der seine Zeit, seine Erfahrung und Fähigkeiten anderen zur Verfügung stellt - in welchem Umfang und aus welchen Motiven auch immer.

Und hier stößt man auf den Kern der Gemeinschaft: Jeder gibt etwas dazu. Rat bei Problemen und Installationen, kleine Skripte oder eine ganze Programmiersprache, ein kleines Icon oder ein neues Programm für den Desktop, einen Kurztipp oder einen Treiber für neue Hardware. Und da es in der Natur von Informationen liegt, durch Weitergeben mehr statt weniger zu werden, profitiert jeder davon.

Natürlich ist auch dieses Bild der Linux-Gemeinschaft ein Ideal, aber die Praxis erstaunt immer wieder damit, wie nah sie dem Ideal kommt. Und solange diese Gemeinschaft besteht, habe ich um die Zukunft von Linux nicht die geringsten Sorgen.

  • Dieses Werk wurde unter der Commons Attribution-Share Alike Lizenz veröffentlicht. Kopieren, Verbreiten und/oder Modifizieren ist erlaubt unter den Bedingungen der Commons Attribution-Share Alike, veröffentlicht von der Creative Commons.

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