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Sa, 1. September 2001, 00:00

Editorial: Das tägliche Brot

Seit einiger Zeit kreisen meine Gedanken um die Frage, wie das bisherige Entwicklungstempo von Open Source aufrecht erhalten oder gar noch gesteigert werden kann. Dazu könnte man sicher einen pointierten, witzigen Artikel schreiben, doch die Deadline rückt näher, und mir fällt nichts ein.

Also ganz nüchtern: Wer erstellt Open Source Software (OSS)?

  • Einige wenige Vollzeitprogrammierer
  • Hunderttausende von Schülern, Studenten und Freizeitprogrammierern
  • Firmen, die eine bestimmte Technologie am Markt etablieren wollen
  • Firmen im Auftrag von öffentlichen Einrichtungen

Sollte ich jemanden vergessen haben, bitte kurz die Hand heben :-) Die Unterscheidung in Vollzeit- und Freizeitprogrammierer soll wohlgemerkt keine Unterscheidung in Profis und Amateure sein. Die meisten Freizeitprogrammierer sind Informatik-Profis, die nur dummerweise in ihrer normalen Arbeitszeit keine OSS schreiben können.

Da es bislang schwer ist, mit OSS Geld zu verdienen, liegt die Hauptlast bei den Freizeitprogrammierern. Und das in zunehmendem Maße, da viele Firmen, die Programmierer Vollzeit an OSS arbeiten ließen, ihre Ausgaben drosseln müssen.

Man muß wohl auch unterscheiden zwischen großen und kleinen Projekten. Bei großen Projekten wie dem Linux-Kernel geht es immer irgendwie weiter, und sie ziehen ständig neue Entwickler an, die zumindest die Abgänge ausgleichen. Bei kleinen Projekten, die meist nur einen Hauptentwickler haben, ist leicht der Punkt erreicht, wo aus Zeitmangel keine Weiterentwicklung stattfindet.

Wenn die Entwickler nun aber für ihre Arbeit bezahlt würden, dann wären sicher viele bereit, rund um die Uhr OSS zu erstellen. OSS würde in solchen Mengen produziert, daß sie in weiten Bereichen die Dominanz erlangen würde. Das wäre die »World Domination«, die Linus Torvalds schon vor Jahren (mehr als Scherz) vorausgesagt hat (inzwischen glaubt er aber ernsthaft, daß OSS in ein paar Jahren dominieren wird).

Eine kleine Überlegung zwischendurch: Muß denn alles Open Source sein? Haben gute proprietäre Programme keine Existenzberechtigung mehr? Fundamentalisten wie die FSF haben hier eindeutige Antworten, und in einer gewissen Weise muß ich ihnen auch Recht geben: Proprietäre Software beruht darauf, ein prinzipiell ohne nennenswerte Kosten reproduzierbares Gut (eben die Software) künstlich zu verknappen. Das ist keine feine Art, Geschäfte zu machen, besonders wenn die Konkurrenz (auch die OSS) mit Patenten, Knebelverträgen und ähnlichem niedergehalten wird. Doch gehen wir mal davon aus, daß es proprietäre Software noch einige Jahre geben wird.

Die meisten Leute haben kein Problem damit, Hunderte von DM im Jahr für Software auszugeben, da sie ja einen Gegenwert dafür haben: Unterhaltung (Spiele), Produktivität (Entwicklertools und Office-Applikationen) usw. Schon eine Firma mit ca. 30 Mitarbeitern gibt im Jahr unter Umständen einige Zehntausend DM für Software aus. Wäre dieses Geld nicht bei den OSS-Programmierern besser aufgehoben als in den Kassen der Konzerne, die den Löwenanteil der Lizenzgebühren einnehmen?

Das war eine rhetorische Frage. Denn jeder, selbst die Hersteller von proprietärer Software, haben ein Interesse an freier Software. Zum einen können sie damit ihre eigenen Ausgaben senken, zum zweiten die Tools auswählen, die ihnen am meisten zusagen, drittens Anpassungen vornehmen, viertens aus der Funktionsweise der Software selbst lernen, fünftens die Software zu beliebigen Zwecken und unbegrenzt einsetzen... die Liste könnte sicher noch fortgeführt werden.

Nun gibt es zwei Hinderungsgründe, warum man nicht so einfach das Geld an die OSS-Entwickler fließen läßt, anstatt proprietäre Software zu kaufen. Der eine ist genau der, daß man proprietäre Software kaufen kann. Sie ist also zum Zeitpunkt des Geldtransfers bereits fertig (auch wenn man das meiste, was hier auf die Menschheit losgelassen wird, in Open-Source-Kreisen nicht einmal als Betaqualität bezeichnen würde). Für OSS-Projekte trifft dies manchmal zu, oft aber sind die Programme in einem mehr oder weniger frühen Entwicklungsstadium, und auf die Fertigstellung eines Programms zu warten, ist nicht immer praktikabel.

Der zweite Hinderungsgrund ist die nicht einfache Frage, wem man denn sein Geld geben soll. Viele OSS-Programmierer würden schlicht ablehnen, weil sie nicht darauf vorbereitet sind oder nicht die Möglichkeit haben, mehr Zeit in ihr Projekt zu stecken. Man könnte das Geld auch der FSF spenden, Linux International (LI), GNOME, KDE... da sollte doch für jeden etwas dabei sein.

Betrachten wir das Problem noch von der anderen Seite, der der Entwickler. Wovon kann der Entwickler leben, wenn er ausschließlich OSS entwickelt? Auf deutsche Verhältnisse bezogen, sollten pro Entwickler und Monat schon etwa 10000 DM herauskommen, denn soviel oder mehr kann man als Programmierer proprietärer Software oder Berater durchaus verdienen. Kleine Einschränkungen könnte ein OSS-Programmierer ja noch hinnehmen zum Ausgleich für die Freiheit, programmieren zu können, was er will. Doch alles hat seine Grenzen, besonders wenn er schon finanzielle Verpflichtungen hat.

Verschiedene Geschäftsmodelle sind schon vorgeschlagen worden, einige davon weniger realistisch, wie die Idee der GPL-Farm, die Entwickler von den Zinsen des gespendeten Kapitals zu bezahlen. Oja, weltweit liegt dermaßen viel Geld auf den Banken, warum hören wir nicht einfach alle auf zu arbeiten und leben von den Zinsen?

Realistischere Möglichkeiten wären: Akzeptieren von Supportaufträgen und bezahlten Erweiterungen seiner Software. Dazu sollte man aber mehr geschrieben haben als nur einen weiteren Tetris-Clone. Und man sollte darauf achten, daß die Aufträge mit der eigenen Software zu tun haben, damit die Entwicklung nicht ins Hintertreffen kommt.

Eine eigene Webseite sollte man sowieso haben, und man könnte dort eine Möglichkeit einrichten, Spenden zu erhalten. Doch ein Geschäft kann man darauf allein nicht bauen, denn wer weiß, wieviel Geld hier hereinkommt? Wahrscheinlich weniger als erhofft.

Besser wäre es, etwas zum Verkauf anzubieten. Es macht sich immer gut, wenn man etwas Greifbares anzubieten hat. Es ist aber auch schwierig, weil viele Leute den kostenlosen Download bevorzugen. Leute mit langsamer Internetanbindung werden allerdings eine CD begrüßen, besonders wenn es sich um umfangreiche Software handelt. Hier sind große Projekte im Vorteil, müssen das Geld aber auch zwischen viel mehr Entwicklern aufteilen.

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