Ein neuer heiliger Krieg: Mac gegen DOS

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grovel
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Joined: 17. Aug 2000 18:39

Ein neuer heiliger Krieg: Mac gegen DOS

#1 Post by grovel »

Der folgende Text stammt von Umberto Eco, geschrieben 1994, deshalb nicht mehr auf dem neuesten Stand, aber immer noch unterhaltsam

Ungenügende Beachtung hat der verborgene neue Religionskrieg gefunden, der im Begriff ist, unsere moderne Welt tiefgreifend zu verändern. Ich habe den Verdacht schon lange, aber jedesmal, wenn ich ihn irgendwo erwähne, stelle ich fest, dass die Leute mir spontan zustimmen.
Tatsache ist, dass die Welt sich heute in Benutzer des Macintosh und Benutzer der mit DOS laufenden Benutzer teilt. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mac katholisch und DOS protestantisch ist. Mehr noch, der Mac ist katholisch im gegenreformatorischen Sinn, durchdrungen von der jesuitischen "ratio studiorum". Er ist heiter, freundlich und entgegenkommend, er sagt dem Gläubigen, wie er Schritt für Schritt vorgehen soll, um wenn nicht das Himmelreich, so doch den Moment des erfolgreichen Ausdruckens der Datei zu erreichen. Er ist katechistisch, das Wesen der Offenbarung wird in verständliche Formeln und prächtige bunte Ikonen gefasst. Jeder hat Anrecht auf das Heil.
DOS dagegen ist protestantisch, ja geradezu calvinistisch. Es sieht eine freie Auslegung der Schriften vor, es verlangt schwierige persönliche Entscheidungen, es zwingt dem Gläubigen eine subtile Hermeneutik auf und nimmt als gegeben, dass nicht jeder zum Heil gelangt. Um das System funktionieren zu lassen, sind persönliche Exegesen des Programms erforderlich. Weit entfernt von der barocken Festgemeinde, sitzt der Benutzer eingeschlossen in der Einsamkeit seiner Gewissensnot.
Man wird mir entgegenhalten, mit dem Übergang zu Windows (1994 in der Version 3.1 erhältlich, A.d.R.) habe die DOS-Welt sich der gegenreformatorischen Toleranz des Macintosh angenähert. Richtig: Windows repräsentiert ein Schisma vom anglikanischen Typus, grosse Zeremonien in der Kathedrale, aber stets mit der Möglichkeit einer schnellen Rückkehr zu DOS, um aufgrund bizarrer Entscheidungen eine Vielzahl von Dingen zu ändern; letztlich könnte man wenn man will, auch das Priesteramt den Frauen oder den Schwulen anvertrauen.
Natürlich haben Katholizismus und Protestantismus der beiden Systeme nichts mit den kulturellen und religiösen Positionen ihrer Benutzer zu tun. Neulich musste ich entdecken, dass Franco Fortini, der strenge und immer zerquälte Dichter, der noch dazu ein erklärter Fein der Gesellschaft und des Spektakels ist, auf einem Macintosh schreibt, es war kaum zu glauben. Allerdings muss man sich fragen, ob die Benutzung des einen Systems anstelle des anderen nicht auf die Dauer zu tiefen inneren Verwerfungen führt. Kann man ernstlich DOS-User und zugleich aufrichtiger Papst-Fan sein? Und übrigens: Hätte Céline mit Word, mit WordPerfect oder mit WordStar geschrieben? Hätte Descartes in Pascal programmiert?
Und die Maschinensprach, die tief im Untergrund über das Schicksal der beiden Systeme entscheidet, gleich in welcher Umgebung? Nun die ist Altes Testament, Talmud, Kabbala...*

* Dieser Streichholzbrief wurde vor sechs Jahren geschrieben. Inzwischen haben sich die Dinge geändert. Die diversen releases haben Windows 95 und 98 dazu geführt, zusammen mit Mac entschieden tridentisch-katholisch zu werden. Die Fackel des Protestantismus ist in die Hände von Linux übergegangen. Aber der Gegensatz ist geblieben (A.d.A., 1999)

Bob Gomorrha

Re: Ein neuer heiliger Krieg: Mac gegen DOS

#2 Post by Bob Gomorrha »

Scharf!!!!

Faszinierend wie man aus so etwas emotionslosen wie einem OS kunstvolle Prosa zimmern kann.

feldsee

Re: Ein neuer heiliger Krieg: Mac gegen DOS

#3 Post by feldsee »

Ich will meinen Atari ST wieder ...

Bi'smi'llah ar'rahman ar'rahim!

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