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Mo, 1. Januar 2001, 00:00

Interview mit Till Jaeger

Freie Software setzt sich in vielen Bereichen durch. Jedoch wird die Entwicklung und Verbreitung Freier Software in jüngster Zeit durch Softwarepatente und Veränderung im Urheberrecht bedroht. In Europa soll nun ein dem Digital Millenium Copyright Act (DMCA) vergleichbares Gesetz eingeführt werden. Till Jäger, Rechtsanwalt und Mitbegründer des »Instituts für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software«, zeigt das Gefahrenpotential und die Auswirkungen, die sich für Freie Software daraus ergeben.

im Freien Vortragsprogramm des LinuxTag 2002. Der Linuxtag e.V. (LTeV) führte im Vorfeld ein Interview mit dem Referenten.

[LTeV]: Das DMCA ist bisher ja nur auf die USA beschränkt, bekommt Deutschland mit Umsetzung der EU-Richtlinie 2001/29/EG ein vergleichbares Gesetz?

[Jaeger]: In seinem bedeutsamsten Regelungsbereich ist das "Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" mit dem DMCA sehr weitgehend vergleichbar: Das Verbot der Umgehung von "technischen Maßnahmen", die dem Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken dienen. Das ist allerdings nicht verwunderlich, da sowohl der DMCA als auch die EU-Richtlinie auf den selben völkerrechtlichen Verträgen beruhen, nämlich dem WCT (WIPO Copyright Treaty) und WPPT (WIPO Performances und Phonograms Treaty). Daher wird auch bei uns zukünftig die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen verboten sein, sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich.

[LTeV]: Gibt es Unterschiede zwischen dem DMCA und der EU-Richtlinie?

[Jaeger]: Eine umfassende Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurde meiner Kenntnis nach noch nicht gemacht. Aber schon bei einem groben Blick fällt auf, dass bei den Ausnahmen Unterschiede bestehen. Denn das Urheberrecht wird nicht schrankenlos gewährleistet, an dieser Stelle sei nur an die Privatkopie bzw. Sicherungskopie erinnert oder an das Zitatrecht. Die Schranken unterscheiden sich im DMCA und im deutschen Urheberrecht beträchtlich. Außerdem wird in Deutschland künftig auch dann eine Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen verboten sein, wenn die Nutzung des geschützten Werkes eigentlich durch eine Schranke erlaubt ist. Die Rechteinhaber trifft dann aber die Verpflichtung, die Nutzung zu ermöglichen, etwa für Behinderte Kopien bereitzustellen. Dieser Anspruch gegen die Rechteinhaber kann laut Referentenentwurf auch durch Verbände geltend gemacht werden und bei einer Weigerung der Rechteinhaber können staatliche Bußgelder verhängt werden.

Der DMCA erlaubt hingegen für einige Ausnahmen die Umgehung des Kopierschutzes, also eine Art "Selbsthilferecht". Diese Lösung, die für den technisch versierten Nutzer von Vorteil ist, wurde vom Bundesjustizministerium abgelehnt, da man einen Missbrauch fürchtet und die Mehrheit der Nutzer ohnehin nicht in der Lage ist, den Kopierschutz selbst zu knacken.

[LTeV]: Im DMCA wird von "effektiven Kopierschutzmethoden" geredet, wie definiert sich ein "effektiver Kopierschutz" in der digitalen Welt?

[Jaeger]: Der Referentenentwurf spricht von "wirksamen technischen Maßnahmen", die vorliegen sollen, "soweit durch sie die Nutzung eines geschützten Werkes oder eines sonstigen Schutzgegenstandes von dem Rechtsinhaber durch eine Zugangskontrolle, einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfaltigung, die die Erreichung des Schutzziels sicherstellt, unter Kontrolle gehalten wird". Das ist zunächst einmal kryptisch und wird es wohl bis zu den ersten Gerichtsentscheidungen bleiben. Da wurden bislang noch überhaupt keine klaren Kriterien erarbeitet, die dem Bürger eine Vorstellung von dem vermitteln, was künftig erlaubt und was verboten ist. Das ifrOSS hat einige Vorschläge unterbreitet, die diese Situation verbessern sollen, etwa indem auf den Durchschnittsnutzer abgestellt werden soll. Was der nicht umgehen kann, ware danach als "effektiv" anzusehen. Denn dass es keinen vollkommen sicheren Kopierschutz gibt, wissen alle.

[LTeV]: Welche Auswirkungen hat die EU-Richtlinie für Software allgemein?

[Jaeger]: Nach seinem Wortlaut ist die EU-Richtlinie nicht anwendbar, sofern die spezielleren Regelungen der Computerrichtlinie von 1991 nicht eingreifen. Das bedeutet, das technische Maßnahmen zum Schutz von Software nicht unter die neue EU-Richtlinie fallen, und dem entsprechend schließt der Referentenentwurf die Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften zum Umgehungsverbot (P 95a UrhG) ausdrücklich aus.

Obwohl Software ansonsten einem strikteren Urheberrechtsschutz unterliegt, dürfte der Schutz technischer Maßnahmen gegen die Umgehung bei Software dann schwächer ausgeprägt sein als bei anderen Werkarten. Da sind einige Fragen aber noch unklar, etwa im ASP-Bereich.

Eine unmittelbare Auswirkung wird aber sein, dass Software, die Kopierschutz fur Musik, Videos und Pay-TV oder ähnliche DRM-Systeme umgeht, nicht angeboten, beworben oder eingeführt werden dürfen.

[LTeV]: Und welche Auswirkungen für Freie Software?

[Jaeger]: Das ist momentan schwer zu prognostizieren. Der DeCSS-Fall hat gezeigt, dass die Umgehung von Kopierschutz auch dann verboten werden konnte, wenn er erlaubten Zwecken dient. Es steht also zu befürchten, dass die Nutzer von Freier Software von Content ausgeschlossen werden, weil die verwendeten DRM-Systeme nicht mit GNU/Linux kompatibel sind und die Inhalteanbieter ihre Kopierschutzsysteme nicht auf den Markt für Freie Software ausrichten. Dies macht für Inhaltebieter zwar grundsätzlich keinen Sinn, da damit potentielle Nutzer ausgeschlossen werden. Anders kann das aber sein, wenn Softwarefirmen auch Inhalteanbieter sind. Ich erinnere an dieser Stelle, dass Bill Gates einige der großen Photoagenturen gekauft hat. Inwieweit für Anbieter von Freier Software da kartellrechtlicher Schutz besteht, kann ich nicht sagen. Da warten noch viele offene Fragen.

Ansonsten ergeben sich gerade für Distributoren gesteigerte Prüfungspflichten. Sie müssen aufpassen, dass keine Umgehungssoftware in ihren Sammlungen enthalten ist. Das kann im Einzelfall eine schwierige Frage sein.

[LTeV]: Mit welchen Konsequenzen müssen Programmierer von Freier Software rechnen?

[Jaeger]: Da geht es dem Programmierer Freier Software wie jedem anderen Programmierer: Bei der Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen droht die strafrechtliche Verfolgung, wenn die Tat nicht ausschließlich zum privaten Gebrauch des Programmierers begangen wurde.

Daneben - und hier werden die Konsequenzen voraussichtlich schmerzhafter sein - drohen Schadensersatzansprüche. Wenn der Rechteinhaber nachweist, dass sein Umsatz wegen einer im Internet erhältlichen Umgehungssoftware zurückgeht, kann das erhebliche Summen betreffen. Diese Schadensersatzansprüche sind unabhängig davon, ob die Software zum privaten Gebrauch entwickelt wurde oder nicht.

Autor: Oliver Zendel

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