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Mo, 3. November 2003, 00:00

Interview mit Marcus Brinkmann

Marcus Brinkmann ist sowohl Debian-Entwickler als auch beim GNU Hurd Projekt sehr engagiert. Entsprechend ist er ein äußerst aktiver Mitarbeiter bei der Entwicklung der Debian GNU/Hurd-Distribution. Er studiert außerdem Mathematik an der Ruhr-Universität Bochum. Dieses E-Mail-Interview wurde von Wolfgang durchgeführt.

Pro-Linux: Wann hast du die Hurd-Portierung von Debian begonnen und aus welchen Gründen? Warum lohnt sich die Entwicklung dieses Systems?

Marcus Brinkmann: Ich habe das GNU Hurd-Projekt im Sommer 1997 eher zufällig im Internet entdeckt. Eine Binärversion des GNU-Systems war in einem 72 MB großen tar-Archiv verpackt, und der Download über ein 33.6 bps-Modem war recht mühselig. Auf der Mailingliste habe ich dann herausgefunden, daß ein Paketsystem zwar erwünscht war, aber noch niemand damit begonnen hatte. Da ich schon ein Jahr Erfahrung mit Debian hatte, begann ich die Debian-Paketsoftware dpkg auf GNU/Hurd zu portieren. Im Januar 1998 wurde dann offiziell der `hurd-i386' Paketbaum im Debian-Archiv angelegt, und der Spaß begann.

Anfänglich war es hauptsächlich Abenteuerlust und das Bedürfnis, andere Systeme als GNU/Linux kennenzulernen. Vier Jahre später ist immer noch viel von der Neugier erhalten. Ich entdecke immer wieder neue Gründe, für die sich die Beschäftigung mit den Hurd-Servern und dem zugrunde liegenden Microkernel GNU Mach lohnt.

Ein wichtiger Grund ist, daß GNU Hurd, so wie das GNU-System, vollständig aus freier Software besteht. Alle Komponenten sind lizenziert unter der GPL, und alleiniger Inhaber des Urheberrechts ist die Free Software Foundation. Dadurch wird sichergestellt, daß Hurd immer freie Software bleiben wird, und daß die Lizenz erneuert werden kann (zum Beispiel auf GPL Version 3). Auch die Durchsetzung der Lizenz in der Praxis wird dadurch vereinfacht. Die Durchsetzung der Lizenz von Linux dagegen ist durch die enorme Anzahl der Inhaber des Urheberrechts von Teilen der Software erschwert, und eine Änderung der Lizenz (GPL Version 2) ist praktisch unmöglich.

Ein anderer Grund, sich das Hurd-System näher anzusehen, ist das Design der Software. Sowohl das Gesamtkonzept als Multiserver-System auf der Grundlage eines Microkernels, als auch die technisch überzeugende Ausführung bieten dem interessierten Programmierer intellektuelle Herausforderung und ästhetisches Vergnügen. Das System ist vollständig durch den (nicht speziell privilegierten) Benutzer erweiterbar, wodurch sich ganz neue Lösungsansätze für alte Probleme ergeben.

Pro-Linux: Wie viele Leute arbeiten an Hurd? Wieviele an der Debian GNU/Hurd-Distribution? Wo wird Unterstützung am dringendsten benötigt?

Marcus Brinkmann: Sowohl Hurd als auch Debian GNU/Hurd sind Projekte, bei denen ausschließlich Freiwillige an der Entwicklung beteiligt sind. Einige verdienen Geld mit Zeitschriftenartikeln über Hurd oder dem Verkauf von CDs mit Vorab-Versionen der Distribution, aber niemand wird für die Entwicklung selbst bezahlt. Es ist schwierig für mich, halbwegs verläßliche Zahlen anzugeben, denn wie in jedem Projekt gibt es für jeden Freiwilligen Phasen der Aktivität und Phasen der Abwesenheit. Das Kernteam besteht aus einem halben Dutzend Personen, weit über ein Dutzend weitere Personen beteiligen sich derzeit sichtbar aktiv an der Entwicklung. Bei Debian ist es noch schwieriger, denn natürlich ist jedes der über sechshundert Debian-Mitglieder mehr oder weniger direkt an der Entwicklung von Debian GNU/Hurd beteiligt. Auch hier würde ich sagen, daß sich etwa ein Dutzend durch besonderes Engagement hervorhebt.

Einen soliden Betriebssystemkern zu entwickeln ist eine Menge Arbeit. Auch eine darauf aufbauende Binärdistribution ist sehr zeitintensiv. Unterstützung ist in allen Bereichen willkommen. Tatkräftige Programmierer können fehlende Komponenten schreiben und schon geschriebene erweitern und verbessern. Andere können das System auf Herz und Nieren testen, und so den Programmierern mehr Arbeit verschaffen. Gute Autoren für die Dokumentation und die Präsentation nach außen (Artikel, Webseiten, usw.) werden auch immer gebraucht. Ich rate jedem, der bei Hurd mitmachen möchte, sich an den eigenen Fähigkeiten und Interessen zu orientieren, und diese bestmöglich einzusetzen.

Pro-Linux: Über welche Fähigkeiten sollte jemand verfügen, der ernsthafte Arbeit an Hurd erledigen möchte?

Marcus Brinkmann: Wer das Hurd-System selbst erweitern oder verbessern will, sollte auf jeden Fall die Sprache C gut beherrschen und Erfahrung mit der Programmierung in POSIX Systemen haben, je mehr, desto besser. Auch die Mach-Schnittstelle und das Mach IPC-System sind wichtig, und man sollte bereit sein, sich Details dazu und zu anderen Themen bei Bedarf anzueignen. Hurd-Server sind normalerweise multi-threaded, demgegenüber sollte man keine Abneigung haben.

Pro-Linux: Welche Fortschritte können das Hurd-System an sich und insbesondere die Debian GNU/Hurd-Distribution verbuchen, seit die Arbeit an der Distribution begonnen wurde?

Marcus Brinkmann: Ein großer Vorteil von Debian GNU/Hurd war es, daß erstmals eine breite Palette von Software auf Hurd übersetzt und getestet wurde. Dadurch wurden eine Menge Fehler gefunden und behoben, sowohl in Hurd als auch in den Applikationen. Das Hurd-System ist heute sehr viel stabiler und fehlerfreier als vor vier Jahren, und einige Lücken konnten entdeckt und ausgefüllt werden. Debian GNU/Hurd ist inzwischen auf regelmäßig erneuerten CDs als Schnappschuß verfügbar und relativ einfach zu installieren. Die CDs enthalten mehrere tausend Binärpakete, darunter prominente Software wie XFree86, Apache, und viele andere.

Außerdem hat sich gerade in den letzten Jahren um Hurd und Debian GNU/Hurd eine starke Gemeinschaft aufgebaut. Die Debian GNU/Hurd-Mailingliste wird von über 800 Personen gelesen, bei den Hurd-Listen sieht es ähnlich aus.

Pro-Linux: Was sind die größten Hindernisse bei der Entwicklung?

Marcus Brinkmann: Für die Entwicklung von Hurd ist das größte Manko sicherlich die fehlende Dokumentation. Das Hurd-Manual ist nicht vollständig, und was vorhanden ist, befindet sich nicht auf dem aktuellen Stand. Andere Probleme sind eher kleiner und praktischer Natur. Nicht alle Fehler, die sich im alltäglichen Einsatz des Systems bemerkbar machen, konnten bislang ausgemerzt werden. Auch die allgemeine Stabilität entspricht noch nicht meinen Vorstellungen.

Bei Debian GNU/Hurd gibt es sowohl Fehler in Hurd, welche die Funktionalität des Systems einschränken, als auch Fehler in den Schnittstellen der Debian-Software. So ist es zum Beispiel nicht möglich, im `Architecture:' Feld der `control' Datei eines Paketes anzugeben, daß dieses Paket nur auf GNU/Linux Systemen einsetzbar ist. Dadurch wird das Debian GNU/Hurd-Archiv verunreinigt und die automatische Build-Software mit hoffnungslosen Übersetzungsversuchen verstopft.

Pro-Linux: Ich weiß, dass Entwickler ungern solche Prognosen abgeben, aber: Wo siehst du das GNU/Hurd-System in fünf Jahren?

Marcus Brinkmann: Fünf Jahre sind in der Welt der Computer eine sehr lange Zeit. Ich hoffe, daß es uns in dieser Zeit gelingt, das GNU-System mit einem flexiblen, robusten und funktionsfähigen Kern auszustatten, der von vielen Leuten mit Freude und Erfolg eingesetzt wird. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß das Interesse groß ist, und daß wir auf dem richtigen Weg sind.

Pro-Linux: Danke für das (virtuelle) Gespräch.

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