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So, 1. Juli 2001, 00:00

Editorial: Desktop-Status

Mit einer Regelmäßigkeit, die fast so einschläfernd ist wie die Überschrift dieses Editorials, wird das Thema "GNU/Linux auf dem Desktop" in der Öffentlichkeit diskutiert. Diese Diskussion wird insbesondere auf längere Dauer hin außerordentlich langweilig, weshalb ich diejenigen bewundere, die immer noch unermüdlich daran teilnehmen, obwohl sowiso nichts dabei rauskommt. Das meines Erachtens größte Problem in dieser Diskussion ist, dass niemand daran denkt, dass unterschiedliche Menschen naturgemäß selten identisch sind und deshalb auch selten identische Anforderungen haben. Mit anderen Worten: Werkzeuge, die gut zu meiner Arbeitsweise passen, müssen nicht zwangsläufig gut zur Arbeitsweise einer Person passen, die nach dem Erlernen des Doppelklicks Probleme mit Lichtschaltern hat. Umgekehrt gilt natürlich das gleiche! Oh, und bevor Sie jetzt behaupten, dass ich hier abwertend über unerfahrene Benutzer sprechen würde, denken Sie an das im Di-Center erarbeitete 11. Gebot: "Du sollst es mit Humor nehmen".

Das Thema "GNU/Linux und der Desktop" als solches ist allerdings momentan gerade wieder aktuell - ich hoffe jedenfalls, dass es das noch ist :-). Daher habe ich beschlossen, einfach auf den fahrenden Zug aufzuspringen und auch etwas zu dieser Debatte beizutragen. Während die meisten Vergleiche allerdings recht einseitig ausfallen, weil die äußerst heterogenen Bedürfnisse der Anwender - wie weiter oben erwähnt - völlig ignoriert werden, möchte ich als Basis für meine (natürlich ebenfalls einseitigen) weiteren Ausführungen einen Satz verwenden, der zweifellos recht allgemeingültig beschreibt, was unter einer guten Software zu verstehen ist:

"Einfache Dinge sollen einfach bleiben; schwierige Dinge sollen möglich sein." -- Rob Pike, Bell Labs

Ich denke, dass durch die Erfüllung dieses alten Leitsatzes ein äußerst weites Spektrum an Anforderungen abgedeckt wird. Man mag nun argumentieren, dass hierbei ebenfalls wichtige Aspekte - wie die Stabilität und Performance einer Software - nicht berücksichtigt werden, doch in der Tat werden sie das. Wenn beispielsweise das Ausdrucken eines Textdokumentes nicht funktioniert und man letztlich den Rechner neustarten muss und die Datei neu öffnen, um sie dann doch erfolgreich auszudrucken, dann ist hier eine einfache Sache ganz sicher nicht einfach, sondern überaus umständlich. Auf diese Weise sind wohl nahezu alle wichtigen Kriterien implizit in obigem Satz enthalten.

Das "unnennbare System", mit dem GNU/Linux auf dem Desktop vor allem konkurriert, erfüllt keinen der beiden Aspekte vollständig. Meistens - aber sicherlich nicht immer - sind einfache Dinge einfach, schwierige Dinge aber unmöglich (dazu später mehr). Dies jedenfalls war die Erfahrung, die ich damit bisher gemacht habe, wobei ich mich da gerne belehren lasse, weil ich das meiste, was ich darüber wusste, bereits erfolgreich verdrängen konnte. Allerdings ist das unnennbare System hier nicht wirklich das Thema.

Bei GNU/Linux sieht es hingegen eher so aus, dass zwar schwierige Dinge möglich sind (z.B. egrep -v "^#" EINGABE.Statistik | sort +1 2 | sed -e 's/HEA/SY/g' | sed -e 's/(.*): (.*)/MAILHEADER(\1) \2' | awk -f summierer.awk | troff >AUSGABE.datei, wobei dieses Beispiel aus einem Buch stammt, obwohl ich für den Link kein Geld bekomme), aber einfache Dinge sind eben noch nicht immer einfach.

Die Gründer von Eazel beispielsweise hatten das erkannt und wollten es ändern. Deren Absichten werden sehr deutlich, wenn man die Aussagen betrachtet, die Andy Hertzfeld in einem Interview (in der Zeitschrift Linux Enterprise 7/2001, wobei ich auch für diese Nennung leider kein Geld bekomme) machte:

"Die Desktop-Anwender dagegen haben einen einen harten Job und wir wollen ihnen helfen, besser zurechtzukommen"

"Im großen und ganzen kann man sagen, dass unter Linux nicht alle Aufgaben, die aus User-Sicht täglich anfallen, unter der grafischen Oberfläche abgedeckt sind. Sie wollen etwas machen und stellen fest, dass das mit grafischer Unterstützung nicht möglich ist, also müssen sie wieder zurück auf die Kommandozeile"

Das ist zweifellos wahr. Nun kann sicherlich jeder lernen, dass er ein Programm durch

$ programmname

starten kann, oder eine Datei per

$ programmname dateiname

öffnen kann, doch das reicht unter GNU/Linux eben noch nicht immer aus. Es gibt zahlreiche einfache Dinge, die nicht einfach möglich sind, sondern nur mit viel Aufwand. Die Anzahl dieser Dinge reduzierte sich in den vergangenen Jahren beträchtlich, aber es gibt noch sehr viel zu tun. Das Geheimnis hierbei ist, dass die Möglichkeit, Dinge mit viel Aufwand einzurichten, nicht genommen werden sollte, sondern zusätzlich die Möglichkeit geschaffen werden muss, einfache Dinge mit grafischen Frontends zu realisieren. Diese zu implementieren ist Dank hochwertigen Werkzeugen wie Tcl/Tk, Qt und Gtk+ eine machbare Aufgabe. Sie werden sich vielleicht fragen, warum ich unbedingt die Möglichkeit erhalten möchte, auch den steinigen Weg zu gehen. Der Grund ist einfach der, dass der interessierte Benutzer auf diese Weise leichter an sehr komplexe Dinge herangeführt werden kann: Wenn ich weiß, wie ich eine einfache Sache "von Hand" machen kann, werden mir die komplexen Dinge, die man von Hand machen muss, leichter fallen, als wenn ich noch nie manuell in das System eingegriffen habe. Das bringt mich zum nächsten Thema:

GNU/Linux hat bei fortgeschrittenen Benutzern - und auch die gibt es in der Desktop-Welt - wahnsinnige Vorteile gegenüber dem unnennbaren System. Wenn Sie zu denjenigen gehören, die im Notepad häufiger Zeichenfolgen wie "3dw)p", "dd" oder "y$" oder wenigstens das bei vielen schon zum Reflex gewordene ":wq" mitten in den Zeilen finden, werden Sie vermutlich sehr gut nachvollziehen können, was ich hier meine. Allen anderen wird ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als es zu glauben oder nicht, weshalb ich mir und Ihnen eine weitere Darlegung ersparen werde. Fest steht aber: Die halbe Miete haben wir schon bezahlt, den Rest sammeln wir gerade zusammen.

Abschließen möchte ich diesen Text mit einem weiteren Zitat von Andy Hertzfeld, dem ich mich ohne jegliche Einschränkungen anschließe und das deutlich macht, was der eigentliche Vorteil von GNU/Linux ist:

"Die wissenschaftliche Forschung ist öffentlich. Sie wird von der Allgemeinheit finanziell getragen. Und das ist wichtig und gut so. Und auf der Basis von wissenschaftlichen Ansätzen entstehen dann ja auch Geschäftskonzepte. Oder betrachten Sie einmal unsere Highways. Was wäre denn, wenn jedes Unternehmen seine eigenen Highways bauen müsste? In der Softwarebranche ist das ähnlich. Für die Anwender und die Entwickler ist es nur gut, wenn eine [...] öffentliche Infrastruktur existiert. [...] Wenn Infrastrukturen proprietär sind und einzelne Unternehmen darüber verfügen, beeinflusst das das ganze Umfeld. Die Softwarebranche der letzten 10 Jahre ist nicht wirklich gesund gewesen"

  • Dieses Werk wurde unter der GNU Free Documentation License veröffentlicht. Das Kopieren, Verbreiten und/oder Modifizieren ist erlaubt unter den Bedingungen der GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation.

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