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So, 15. Januar 2006, 00:00

Die »Vista«-Chance von Linux, kurzfristig und langfristig

Die neue Version von Windows, »Vista«, ehemals Longhorn, steht in den Startlöchern und wird die erste neue Version von Windows seit etwa sechs Jahren sein (auch wenn das SP2 ein bedeutendes Update war). Hat Linux jetzt mit der Markteinführung von Vista Chancen, auf dem Desktop-Markt Fuß zu fassen?

Ohne Vista jetzt im Detail zu kennen, sollte man davon ausgehen, daß es einige Verbesserungen gegenüber XP bereithalten wird, dazu kommt sicher eine neue, den »Verbraucher« ansprechende Optik. Allerdings kommt Vista auch mit deutlich weniger Features als ursprünglich geplant und scheint, den wiederholten Verzögerungen nach zu urteilen, eher eine schwere Geburt zu sein. Wie fehleranfällig es dadurch eventuell sein mag, bleibt abzuwarten, und auch ob es genug Innovationen fürs Geld bietet. Ungeachtet dessen bietet Vista Linux eine Chance.

Wo war der Stand des Linux-Desktops bei der Einführung von XP? Nach meinen Erinnerungen war er eher etwas für leidensfähige Überzeugungstäter als für jedermann. Wo ist Desktop-Linux heute? Es ist, was die reine Desktop-Umgebung angeht, dem XP-Desktop in einiger Hinsicht überlegen. Mehrere Arbeitsflächen, leistungsfähige Dateimanager, umfassende Konfigurationsmöglichkeiten, Auswahl, Design, Hotplugging und viele nützliche Helferapplikationen... kaum ein Bereich, bei dem es ernsthaft etwas zu mäkeln gäbe. Die »Versorgung« mit Anwendungen ist für normales Arbeiten nicht nur ausreichend, sondern fängt an, richtig gediegen zu werden. Die Hardwareunterstützung ist einer Standard-XP-Installation bei weitem überlegen, auch wenn natürlich noch viel Hardware mit Windows-only-Treibern kommt (und oft trotzdem unter Linux funktioniert). Der Autor benutzt Linux für sämtliche anfallenden Arbeiten, Surfen, Schreiben, Einladungen entwerfen, Musik hören/verwalten/bearbeiten, Videos und DVDs schauen, CDs und DVDs zusammenstellen und brennen.

Kurz: die Situation ist aus mehrerlei Hinsicht heute eine völlig andere als vor fünf Jahren. Erstens haben wahrscheinlich nicht viele Windows-Benutzer den Drang, ein funktionierendes XP gegen ein noch »experimentelles« Vista einzutauschen, zweitens steht mit Linux diesmal eine echte Alternative zur Verfügung. Vista wird auch neue Herausforderungen an die Hardware stellen, während etliche Linux-Varianten auch heute schon auf alternder Hardware sehr gut eingesetzt werden können (DSL, Puppy, STX).

Natürlich wird es Unmengen an OEM-Installationen geben, und kaum jemand wird die »Windows-Steuer« beim Geräteneukauf nicht bezahlen, aber auch abgesehen davon ist Vista die größte Chance, die Linux in den letzten Jahren bekommen hat. Warum? Spätestens wenn für Windows 2000 der Support eingestellt wird, was mit der Veröffentlichung von Vista wahrscheinlicher wird, wird es eine weitere Migrationswelle geben. Und wenn viele Leute sich mit dem Gedanken tragen, von XP zu wechseln, dann macht sich ein kleiner Teil davon sicherlich auch Gedanken, ganz von MS-Windows weg zu wechseln. Selbst wenn das nur wenige Prozent sind, es sind Linux-User, die es ohne Vista nicht gegeben hätte. Keiner behauptet ja, daß Vista das Ende der Microsoft-Dominanz bedeutet, aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß Linux seinen ersten bedeutenden Sprung auf den Desktop machen kann.

Daß die MS-Dominanz auf lange Sicht enden könnte, das erscheint nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, und zwar für den Fall, daß es MS verpaßt, sich anzupassen. Linux und Open Source haben den Markt verändert. Die Entwicklungsprobleme von Windows Vista haben es überdeutlich gezeigt: die monolithische Entwicklung von Closed Source ist mit der Komplexität von Vista anscheinend an seine Grenzen gelangt. Quelloffene Softwareentwicklung scheint für Großprojekte effizienter zu sein, zumal die geleistete Arbeit für die Entwicklergemeinde nicht verloren oder unzugänglich ist, wie es bei geschlossenen Umgebungen der Fall ist. Linux setzt Maßstäbe in Selbstorganisation und sozialer Intelligenz, die umso konkurrenzloser werden, je mehr Code auf diese Weise produziert wird.

Zusätzlich unterliegt nahezu jedes Open-Source-Codefragment darwinistischen Prinzipien (oder »evolutionärem Druck«), ein Ansatz, der schon im Bereich des Lebendigen sowohl zu universellen als auch zu hoch spezialisierten Antworten auf die Frage des Überlebens geführt hat. Kann es ein besseres Vorbild für ein Entwicklungsmodell geben als die Natur? Wenn man mit diesem Wissen auf Microsoft blickt, dann fällt einem das Wort »Dinosaurier« ein. Sie waren groß und stark und dominierten die Welt. Und sie gingen unter, weil sie nicht anpassungsfähig waren. Auch wenn es noch einige Jahre dauern kann, bis diese Erkenntnis bei Microsoft wirkt, sie wird wirken. Unternehmen wie IBM, HP, Novell und wie es scheint auch Sun haben angefangen, das zu begreifen.

Linux hat die Software-Umwelt verändert und wird fortsetzen, dies zu tun. Wieso? Es wurde schon vor zehn Jahren, als es kaum ernsthaft zu benutzen war, weiterentwickelt, weil es eine beispiellose Kultur des Gebens und Teilens geschaffen hat. Wenn ich Wissen teile, vermehrt es sich. Wenn ich Wissen nun nur und ausschließlich wie Kapital behandle, dann trifft die vorgenannte Aussage nicht mehr zu, denn wenn ich aus meinem Wissen keinen Nutzen ziehen kann, dann ist es nur noch tote Information. Linux ist für Microsoft (u.a.) das, was für einen Millionär eine exponentielle Inflation ist.

Es würde mich nicht wundern, wenn in zehn Jahren die neue Version von Windows mit Quellcode und BSD-Lizenz kostenfrei heruntergeladen werden kann. Wenn das Betriebssystem nur noch eine Plattform für kommerzielle Angebote von Drittanbietern ist, MS Service und Add-Ons verkauft. Nicht die Endkunden zahlen für Windows, sondern die Hersteller von Software zahlen an MS. Der Endkunde bezahlt für Programme, nicht für das Betriebssystem. Sicherheitslücken werden von der freien Entwicklergemeinschaft binnen Stunden korrigiert...

Für manche klingt das wie Utopie, ich würde es schlicht Zukunft nennen. So, genug der Spekulation. Oder habe ich was vergessen?

Benjamin

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