Wine entkorkt: Der Windows-Ersatz im Detail
Mit jedem Versionssprung reift der Windows-Emulator Wine und verträgt sich mit weiteren Anwendungen. Doch Vorsicht: Oft ist noch behutsames Dekantieren nötig.
David Wolski
Gerade bei komplexeren Windows-Programmen muss man oft noch selbst Hand anlegen, um alle Kompatibilitätsprobleme auszumerzen
Der Jahrgang 2013 zeichnet sich durch die Veröffentlichung von Wine 1.6 aus. Seit Version 1.0, dessen Entwicklung von Google mitfinanziert wurde, hat Wine gute Fortschritte gemacht. Dahinter steht aber nicht weniger als eine Mammutaufgabe: Wine ist keine Virtualisierungsumgebung wie Virtualbox, sondern eine Abbildung der Windows-API (Application Programming Interface) in einer Laufzeitumgebung, um Windows-Programme auszuführen, die eine ausreichend komplette API brauchen.
Kurzer Rückblick: 20 Jahre Wine
Begonnen hatte Wine als Hobby-Projekt schon vor 20 Jahren zu Zeiten von Windows 3.1 mit seiner 16-Bit-API. Nach einem einfachen »Hello World«- Programm gelang es schnell, Solitär zum Laufen zu bringen. Mit Windows 95 musste Wine die neue 32-Bit-API unterstützen und zeigte schon bald beeindruckende Teilerfolge, so dass Corel von 1999 bis 2000 in die Weiterentwicklung von Wine investierte, um es für sein heute verschwundenes Word Perfect zu verwenden. Eine große Krise kam durch die erste Aufspaltung des Quellcodes, als Transgaming die Direct-X-Unterstützung in sein eigenes, kommerzielles Projekt Wine-X und später in Cedega integrierte – eine kontroverse Aktion, die viele Open-Source-Entwickler vergraulte. Wiederbelebt wurde Wine 2006 von Google, das Wine damals für ihre Linux-Version von Picasa benötigte und vor allem die Wine-Unterstützung von Photoshop ein großes Stück weiterbrachte.
Nun ist die API von Microsoft zum einen hübsch umfangreich, zum Teil undokumentiert und nicht selten obskur. Dieses Gebilde hat Microsoft über Jahrzehnte mit Tausenden Mitarbeitern erschaffen, mit teilweise erheblichen Unterschieden zwischen unterschiedlichen Windows-Versionen. Die Wine-Entwickler haben weder (legalen) Quellcode von Microsoft, noch Zugriff auf den Quellcode der Programme, die unter Wine laufen sollen. Also muss die API Stück für Stück, Programm für Programm neu aufgebaut werden. Hier hilft nur Ausprobieren und Experimentieren weiter, was die lange Entwicklungszeit erklärt. Die API-Abbildung ist alles andere als komplett, aber inzwischen ausreichend, um viele verbreitete Programme fast wie unter Windows laufen zu lassen. Als Messlatte dienen den Entwicklern dabei Photoshop CS und ältere Office-Versionen sowie einige Spiele- Klassiker wie Halflife 2.
David Wolski
Auf manche Windows-Programme wollen Linux-Nutzer nicht verzichten: Adobe Photoshop ist ein besonders prominentes Beispiel, hier in der Version CS2
Installation: Aktuelle Versionen bevorzugt
Bei allen populären Linux-Distributionen finden Sie Wine über den dort eingesetzten Paketmanager zur einfachen Installation. Auch wenn Wine bereits in Version 1.6 vorliegt, so sind die Pakete in den Linux-Distributionen meist ein gutes Stück älter, da als stabil markierte Wine-Versionen den Vorzug haben. Wenn ein Programm in einer älteren Wine-Version nicht läuft, lohnt sich der Versuch, es nochmal mit einer aktuelleren Entwicklerversion von Wine zu versuchen. Für Ubuntu und Mint bietet ein PPA als inoffizielles Repository Entwicklerversionen an. In der Kommandozeile nehmen Sie das PPA mit dem Befehl
sudo add-apt-repository ppa:ubuntu-wine/ppa sudo apt-get update
auf und installieren dann über
sudo apt-get install wine1.6
die neueste dort verfügbare Wine-Version. Debian-Anwender finden frische Wine-Pakete im Unstable-Zweig von Debian Sid. Wer ein stabiles Debian nicht zu einem gemischten System umwandeln möchte, kann aber auch gezielt die inoffiziellen Pakete von http:// dev.carbon-project.org/debian/wine-unstable installieren. Dazu laden Sie die dort angebotenen Pakete für die genutzte Plattform (amd64 oder i386) in ein Verzeichnis herunter. In der Kommandozeile gehen Sie in dieses Verzeichnis und bereiten die DEB-Pakete als root oder mit sudo nacheinander über diese drei Befehle für die Installation vor:
dpkg -i libwine* dpkg -i wine-bin-unstable* dpkg -i wine-unstable*
In den meisten Fällen wird sich der Paketmanager über fehlende Abhängigkeiten beschweren, wenn Wine bisher noch nicht installiert war. Dies ist aber kein Hindernis, denn mit dem nachfolgenden Kommando apt-get install -f
weisen Sie den Paketmanager einfach an, die Abhängigkeiten selbständig aufzulösen und die Wine-Installation abzuschließen.
In Fedora ist Wine immer auf einem recht neuen Stand, und auch unter Opensuse ist die Entwicklerversion von Wine bereits in den Standardpaketquellen enthalten.