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Mo, 21. Januar 2013, 13:19

Unternehmen

Meinung: Schönrechnen für Migrationsanfänger

Eine neue Studie von HP will deutlich höhere Kosten für die Einführung des Betriebssystems Linux in der Stadtverwaltung errechnet haben. Blöde nur, dass die von Microsoft in Auftrag gegebene Untersuchung viele für das Unternehmen ungünstige Passagen einfach ausklammert und Kosten frech unterschlägt.

Stadt München

Studien können etwas Wunderbares sein. Nennt man sie gar eine »wissenschaftliche Ausarbeitung«, wie das beispielsweise Focus Online tut, werden sie quasi per Definition zu unumstößlichen Tatsachen. Erst beim zweiten Blick offenbaren sich oftmals Schwächen, die das mühsam konstruierte Kartenhaus schlussendlich zum Einsturz bringen. So auch die neueste Studie aus dem Hause HP, die im Auftrag des Redmonder Unternehmens Microsoft entstanden und die Fehlplanung der Münchner Migration anschaulich machen will. Doch schaut man sich das Werk genauer an, so darf man sich wundern. Denn unter der prächtig verputzen Fassade schimmert verdorbenes Sperrholz, das nicht mal geschraubt, sondern notdürftig mit Kitt zusammengekleistert wurde.

So will HP herausgefunden haben, dass München weit mehr Geld beim Umstieg auf Linux ausgegeben hat als angegeben und die von der Stadt veröffentlichten Zahlen nicht einmal im Ansatz den Gegebenheiten entsprechen. In einem direkten Vergleich der eingesetzten Software ist bei HP von einer möglichen Einsparung nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil. Demnach wäre ein Verbleib bei Windows weit günstiger ausgefallen als eine Migration auf Linux. Laut Focus Online »kostet der Betrieb ohne Lizenzkosten für zehn Jahre bei Microsoft niedrige, ermittelte 17 Millionen Euro, für Linux hingegen hohe 60,7 Millionen Euro«.

Und hier fängt schon das erste Problem an. Die Studie klammert ausdrücklich alle Lizenzkosten aus und unterschlägt stillschweigend einen der Hauptründe für eine Migration auf Linux. Die Untersuchung gehe schlicht davon aus, dass München wohl weiterhin auf Windows NT 4.0 setzen würde – in einer Zeit, in der schon der Nachfolger seitens Microsoft aufgekündigt wurde und Unternehmen bereits dazu übergangen sind, auf die zweite und dritte Generation des Betriebssystems zu migrieren. Nüchtern betrachtet unterschlägt die Studie mindestens zwei Migrationen zwischen den Windows-Betriebssystemen – und damit allerdings auch nicht unerhebliche Kosten in Millionenhöhe, die auf die Münchner Stadtverwaltung zukommen würden.

Der Oberbürgermeister der Stadt München, Dr. Christian Ude

Kai Mörk

Der Oberbürgermeister der Stadt München, Dr. Christian Ude

Doch es ist nicht so, dass HP diese Unstimmigkeit nicht aufgefallen wäre. Im Gegenteil. Das Unternehmen macht sie zur Tugend und argumentiert, dass der Fehler bei den Münchnern angesiedelt sei. Schließlich haben die Bayern »Äpfel mit Birnen« verglichen, in dem sie eine neue Windows-Version mit einer mittlerweile zehn Jahre alten Linux-Version verglichen haben. Man nahm deshalb bei HP an, dass es nur redlich wäre, die damals aktuellen Varianten der Systeme miteinander zu vergleichen. Die daraus resultierenden Probleme wurden per Definition ausgeklammert. Stattdessen bediente man sich anderer Zahlen und ließ in die Studie nur Faktoren einfließen, die für den Betrieb, die Bereitstellung für die Anwender, Support und Migration relevant sind.

Das ist perfide. Man unterschlägt die Kosten der Lizenzen, rechnet allerdings die Kosten der Migration ein, die offenbar nur bei Linux Auswirkungen hat. Denn laut Focus entstehen bei der Migration nur Kosten, »wenn von einem zum anderen Betriebssystem umgestellt wird«. Um diese Aussage zu entkräften, bedarf es allerdings weder einer Studie noch einer wissenschaftlichen Ausarbeitung. Man setzte nur einfach einen Anwender, der zuvor mit Microsoft Office 2003 gearbeitet hatte, vor die Nachfolgerversion 2007. Wer dann noch immer behauptet, dass er nur mit geringen Migrationsmitteln solch eine Umstellung bewerkstelligen kann, glaubt auch noch an den Weihnachtsmann oder Massenvernichtungswaffen in Irak.

Es wirkt deshalb wie ein Scherz, wenn der Studien-Verantwortliche Jan-Jürgen Eden in Focus Online behauptet, dass »zahlreiche Faktoren bei einer Veröffentlichung der angeblichen Linux-Kosten von der Stadt München überhaupt nicht berücksichtigt« wurden. Denn ob das Herausrechnen von Kosten fundierter ist, darf bezweifelt werden. Auch nicht hilfreicher ist dabei die Aussage von Microsoft Deutschland. Das Unternehmen wollte sich nicht zu der Studie direkt äußern, ließ aber mitteilen, dass man sich künftig eine sachlichere Auseinandersetzung bei IT-Einsätzen in den Kommunen wünschen würde. Mit solchen Studien wird es allerdings schwer.

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