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Mi, 9. Februar 2005, 00:00

Interview mit Clifford Stoll

Von jwm

jwm: Entscheidend ist die Strukturierung der Informationen, die Aufbereitung. Und diese Aufbereitung durch andere (wie z.B. durch Google) funktioniert in einer Vielzahl von Fällen, aber nicht in allen.

CS: Ja, nimm nur PowerPoint. Es sagt, die Struktur von Informationen muss Top-Down sein - das ist aber völlig verschieden von der Strukturierung im Internet, wo du Links in Texten hast, hierhin springst, dorthin springst...

Und beide genannten haben nichts mit meiner eigenen Strukturierung zu tun, die in meinem Gehirn stattfindet oder wie Informationen in Büchern strukturiert sind, wie Lehrer sie präsentieren etc.

Was ich damit sagen will: ich brauche nicht mehr Informationen und auch nicht mehr von anderen vorgegebene Strukturierungen. Um auf die Digitalisierung zurückzukommen: wenn es dann vollendet ist, wird man es sich anschauen und sagen: nett, aber wozu?

Heutzutage sind doch schon viele Bücher online lesbar, z.B. die Bibel, in hunderten Übersetzungen. Aber keiner liest sie online - du liest dein Freiexemplar abends im Hotel, im Bett...

Fast alle Zeitungen sind online - aber wer liest denn eine komplette Ausgabe davon online? Einen einzelnen Artikel, die Headlines, ja - aber die komplette Ausgabe liest man doch immer noch lieber beim Frühstück, in der U-Bahn etc.

jwm: Clifford, du bist einfach hoffnungslos altmodisch :)

CS: Ja, und ich bin stolz darauf. Aber ich bin schlimmer als altmodisch, schon fast reaktionär, da ich gegen diese Entwicklungen reagiere. Ich sage: "Hey, da läuft vielleicht das ein oder andere falsch, passt auf!"

Ich habe nichts mit den neuen Medien am Hut, ich besitze seit 1974 keinen Fernseher mehr.

Was mich besorgt, ist dass unsere Gesellschaft eher an schnellen Antworten denn an gründlichem Nachdenken und Überlegen interessiert ist. Das Internet verführt uns meines Erachtens dazu, schnelle, einfache Fragen zu stellen, auf die wir schnelle, technische Lösungen erwarten - und das leider auch bei sehr komplexen Problemen wie unter anderem dem Terrorismus.

jwm: Ja, ein häufiges Problem bei all diesen Themen ist, dass keiner mehr fragt: »Warum?«

CS: Genau, nimm nur all diese Fernsehkanäle - wir haben hunderte davon, und es gibt Menschen, die noch mehr davon wollen - warum? Gerade da sieht man, dass Quantität häufig das Gegenteil von Qualität ist.

Wenn du gutes Essen willst, gehst du ja auch nicht zu McDonalds.

jwm: Clifford, wir sitzen ja hier auf dem IT-Defense-Kongress - was wird Thema deines Vortrags?

CS: (lacht) Ich weiss noch nicht, was ich nachher erzählen werde. Ich habe die letzten fünf bis sechs Jahre keinen Vortrag mehr über Security-Themen gehalten. Ich werde meine alten Folien benutzen, ein bißchen von früher erzählen - irgendwas in der Art.

Ich bin kein Experte mehr dafür - früher, vor 20 Jahren, da war ich Experte - einfach deswegen, weil es außer mir niemanden gab. Aber heute weiß jeder in dem Raum mehr als ich.

jwm: Keine Sorge, ich bin mir sicher dass mehr als 75% der Anwesenden dein Buch gelesen haben - also erzähle einfach die Geschichte.

CS: Stimmt - die Leute wollen ja nicht nur trockene Berichte von Hard- und Software, die Leute wollen Geschichten hören! Über Menschen, nicht über HDs, Disc-Drives etc. Es gibt einfach keine guten Geschichten über Computer oder das Internet z.B. für Kinder.

jwm: Oh, da muss ich dir widersprechen. Eine sehr schöne und ansprechende Einführung in Netzwerke ist »Das Netz der Schattenspiele« von Ralf Isau [4]. Ich weiß allerdings nicht, ob es da eine englische Übersetzung gibt.

CS: Schreib mir noch mal Name und Titel auf, ich schau zu Hause mal danach.

Wo wir gerade bei fehlenden Sachen sind: woran es ebenfalls in der IT mangelt, ist die Offenheit für Anfänger. Immer noch haben viele Menschen Angst davor, Computer zu benutzen. Uns, die wir die Rechner gewohnt sind, kommen sie trivial vor, für Einsteiger sind sie ein Buch mit sieben Siegeln - immer noch, nach Jahrzehnten des PCs. Auch Autos sind zum Beispiel hochkomplex, trotzdem sind sie nicht so angstbesetzt.

jwm: Naja, dafür musst du in eine Fahrschule gehen, bevor du ein Auto fahren darfst; vielleicht wäre das auch bei Computern sinnvoll - dieses »easy to use« kommt doch eher von den Marketingleuten, nicht von den Entwicklern.

CS: Ja, da hast du Recht. Aber nimm nur diesen IT-Sicherheitskongress. Auch heute ist doch das Problem nicht so sehr mangelhafte Hard- und Software, sondern schlecht verwaltete Systeme. Und es sieht nicht so aus, als würde sich die Situation bessern.

Auch glaube ich nicht, daß sich ein Großteil der Benutzer mit Sicherheitsfragen beschäftigen wird - sie haben es ja bisher auch nicht getan. Und weiterhin ist das größte Problem in der IT-Sicherheit der Mensch, nicht die Technik.

Damals, vor 20 Jahren, dachte ich allen Ernstes: so, Hacker gefasst, Job erledigt, Schwachstellen aufgedeckt - das war es mit Computereinbrüchen. Aber da war ich sehr naiv - inzwischen ist es schlimmer geworden, aber es sind immer noch die gleichen Fehlerquellen.

jwm: Tja, einige Dinge ändert sich halt nie.

CS: Monat für Monat sehe ich neue Exploits, neue Versuche, Passwörter zu knacken, Kreditkartennummern zu bekommen. Und ich denke mir jedes Mal: wow, eigentlich clevere Leute, warum aber machen sie so einen Mist? Ich habe es damals schon nicht verstanden, ich verstehe es heute immer noch nicht.

jwm: Ich denke, sie machen es inzwischen unter anderem wegen der Möglichkeit, Geld zu ergaunern. Und das wird ihnen leicht gemacht, da viele doch gar nicht wissen, wie gewisse Sachen funktionieren.

CS: Das erinnert mich daran, wie ich meinen Kindern Basic beibringen wollte, du weißt schon, »10 print hello, 20 goto 10...«

jwm: Heißgeliebter Spaghetticode, ja...

CS: Ich besorgte mir also Visual Basic von MS und verbrachte zwei Tage damit, mich in die IDE einzuarbeiten - ohne jemals den Prompt zu Gesicht zu bekommen. Und dafür waren fünf CDs und massig MB nötig. Ich habe dann entnervt aufgegeben und mir eine Freeware-Basic-Version aus dem Internet heruntergeladen, keine IDE, nur Prompt - und nur 100 KB. Ich wollte ihnen die Grundlagen vermitteln, ohne einen »arbeitserleichternden« Aufsatz.

jwm: Diese Art der Wissensvermittlung ist irgendwie aus der Mode gekommen. Mein Sohn hat im Schulfach Informatik fast ein halbes Jahr damit verbracht, Word und Excel kennenzulernen.

CS: Das ist es, was fehlt - Grundlagenwissen. Man muss nicht programmieren können, aber so ein grober Überblick darüber, was eine CPU macht, wie ein Computer funktioniert etc. wäre nicht schlecht. Auch Algorithmenentwicklung, also wie man ein Problem, eine Aufgabe, in Einzelschritte zerlegt, Lösungen entwickelt, überdenkt, ausprobiert...

Irgendwie habe ich den Eindruck, das »wissenschaftliche« Denken und Verstehen wird nicht mehr genug gefördert.

Schau dich um, gefragt sind nur noch Problemlöser - auch wenn die nicht unbedingt verstehen, was sie da machen.

jwm: Ein Trend, der nicht nur auf die IT-Branche beschränkt ist.

CS: (lacht) Ja, das ist leider wahr. Früher war es einfacher, da war jeder Computerbesitzer automatisch auch intelligent - einfach weil es eine kleine Gemeinschaft war. Dem ist heute leider nicht mehr so. (grinst breit).

jwm: Clifford, vielen Dank für deine Zeit!

Buchempfehlungen

  1. Clifford Stoll: Kuckucksei
  2. Clifford Stoll: Log out
  3. Clifford Stoll: Die Wüste Internet
  4. Ralf Isau: Das Netz der Schattenspieler

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