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Mi, 7. Juli 2004, 00:00

Interview mit Georg Greve

PL: Wie erklären Sie eigentlich den Politikern in Brüssel und Berlin, denen Sie als Anwalt der Freien Software entgegentreten, die Vorzüge Freier Software? Eine philosophische Ebene dürfte wohl kaum Wirkung haben und eine kapitalistische teilweise gegen die Prinzipien von Richard Stallman verstoßen.

Georg Greve: Beide Bemerkungen kann ich ehrlich aus mehreren Gründen so nicht nachvollziehen.

Zum Einen ist Freie Software hochpolitisch auch im Sinne der Staatsphilosophie und Entwicklungspolitik. Speziell die Entscheidung der brasilianischen Regierung gründet sich beispielsweise spezifisch auf diesen Aspekten.

Es mag sein, daß die Freiheit als Wert gerade in Lateinamerika besser verstanden wird als in Europa - oder könnte sich jemand vorstellen, daß bei der Abschlußveranstaltung des GNU/LinuxTages ein Raum mit hunderten von Leuten gemeinsam »Freiheit« skandiert? - aber er ist durchaus in der Debatte vorhanden, speziell im persönlichen Gespräch.

Bemerkungen, daß »kapitalistische Argumente« gegen die Philosophie von Richard Stallman seien, sind für mich ähnlich stichhaltig wie die Behauptungen von SCO, Freie Software sei antiamerikanisch. Richard persönlich hat sich nie gegen kommerzielle Nutzung Freier Software ausgesprochen, er hat sie im Gegenteil befürwortet, wehrt sich aber dagegen, Geld als einzigen Wert gelten zu lassen.

Doch bin ich nicht sicher, was die persönlichen Ansichten eines Mitglieds unserer US-Schwesterorganisation mit der Arbeit der FSFE auf europäischer Ebene zu tun haben. Richard ist Präsident der FSF USA, von der wir finanziell, juristisch und personell unabhängig sind, obwohl wir eng zusammenarbeiten.

Was die durch die FSFE benutzten Argumente angeht, so argumentieren wir viel über die wissenschaftlichen, volkswirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und politischen Auswirkungen Freier Software, auch die Bildung ist für uns ein wesentliches Argument. Doch darüber vergessen wir auch nicht die langfristigen, pragmatischen Auswirkungen der gesellschaftlichen Effekte Freier Software.

PL: Ist es nicht ein Kampf gegen Windmühlen? Wenn man sich die Entwicklung beim Urheberrecht, Softwarepatenten oder dem freien Zugang zu Informationen ansieht, so scheinen die Vertreter der Industrie übermächtig zu sein. Allein Microsoft gibt pro Jahr um die 300 Millionen USD für Lobbyarbeit in Washington aus.

Georg Greve: Natürlich ist es ein hartes Stück Arbeit, allerdings ist diese Arbeit für mich alternativlos. Vom »Hinlegen und auf den Tod warten« habe ich noch nie viel gehalten.

Angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel haben wir meiner Meinung sehr viel erreicht, wahrscheinlich sogar mehr, als man realistischerweise hätte erwarten können.

Doch natürlich müßte noch viel mehr getan werden, um Freie Software einerseits vor den vielfältigen Bedrohungen zu schützen und andererseits aktiv weiter auszubauen und zu kräftigen.

Dabei nutzt unsere Arbeit fast ausschließlich anderen, sowohl Privatleuten wie auch Unternehmen. Wir selber ziehen daraus keinen persönlichen oder organisationellen Vorteil. Daher sind wir darauf angewiesen, von denen unterstützt zu werden, denen unsere Arbeit nutzt, auch wenn es zum Teil als mittel- bis langfristige Investition in die eigene Zukunft verstanden werden muß.

Mittlerweile werden wir fast täglich mit Anfragen kontaktiert, doch bitte in diesem oder jenem Gebiet noch mehr zu tun. Manchmal auch mit völlig neuen Initiativen. Immer häufiger müssen wir sagen, daß wir dies im Moment auch dann nicht tun können, wenn wir die Idee für richtig und wichtig halten.

Wir hoffen sehr, daß die Menschen und spezifisch auch die Unternehmen zunehmend nicht mehr nur darauf hoffen, daß schon alles gut werden wird und daß Microsofts Milliarden keinen Einfluß auf die Politik nehmen, sondern uns auch entsprechend aktiv zu unterstützen, damit wir unsere Arbeit für sie machen können.

PL: Verzeihen sie mir, aber 300 Millionen USD hört sich nicht wenig an. Ihnen standen dagegen letztes Jahr gerade mal 60.000 Euro zur Verfügung. Wie funktioniert das Lobbying der FSF Europe konkret? Dafür kann man kaum das Personal bezahlen, das den politischen Entscheidungsträgern in Brüssel und den Nationalstaaten mit Informationen zur Seite steht.

Georg Greve: Gerade wenn man diese 60.000 EUR im letzten Jahr im Bezug auf das sieht, was wir bewegt haben, denke ich, daß wir durchaus zufrieden mit unserer Arbeit sein dürfen.

Aber natürlich haben Sie völlig recht - eigentlich bräuchten wir mindestens eine Person Vollzeit pro Land, ein bis zwei Personen auf europäischer Ebene und eine entsprechende Büro-Infrastruktur, um diese Arbeit so zu machen, wie wir sie gerne machen würden.

Bisher haben wir viel noch im Rahmen einer Aufbauphase gesehen, die einige von uns durchaus Substanz gekostet hat - das läßt sich nicht ewig durchhalten. Außerdem stellen wir fest, daß wir zwar erfolgreich sind, eigentlich aber noch viel mehr tun möchten und müßten.

Das bedeutet, wir müssen unsere Tätigkeit noch ausweiten und dafür brauchen wir auch mehr finanzielle Unterstützung.

PL: Ihre Organisation rief vor und während der LinuxTages in Karlsruhe zu Spenden auf. Der Deutschland-Koordinator der FSFE Bernhard Reiter stellte einen »zunehmenden Bedarf der Öffentlichkeit« nach Freier Software fest, aber ohne die finanziellen Mittel seien der FSFE die Hände gebunden. Sieht es wirklich so dramatisch aus?

Georg Greve: Ja, wir sind mit der Ausweitung unserer Aktivitäten gerade auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Presse ein Risiko eingegangen, daher übersteigen die Ausgaben momentan klar die Einnahmen. Außerdem wissen wir, daß wir weiter wachsen und noch mehr tun müssen.

Ohne weitere Unterstützung müssen wir unsere Aktivitäten zurückfahren und noch stärker selektieren, was wir machen können und was nicht.

Das wäre meiner Ansicht nach langfristig aber genau die falsche Richtung für Freie Software in Europa. Insbesondere Unternehmen ziehen großen Nutzen aus unserer Tätigkeit, weshalb sich der Aufruf auch durchaus bewußt an sie wendet.

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