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So, 3. Juli 2005, 22:39

Gesellschaft::Politik/Recht

Schadet die GPL dem Erfolg von Open Source?

Eric S.
Von ThomasS

Raymond hat Federico Biancuzzi vom italienischen Linux-Magazin Linux&C während des internationalen Forums für freie Software in Brasilien erklärt, dass die General Public Licence den Fortschritt von Open Source behindern könnte.

Der Autor von "Die Kathedrale und der Basar" hat in einem Interview mit Federico Biancuzzi die provokative These aufgestellt, dass die GPL, ganz im Gegensatz zu den Anfängen, heute nicht mehr benötigt werde. Er sei sich durchaus über seine ketzerischen Thesen im Klaren, allerdings sei er nie ein Anhänger der GPL gewesen. Er sieht es als seine Rolle in der Open-Source-Welt, auch unbequeme Wahrheiten auszussprechen.

In seiner Keynote zur Eröffnung der Konferenz überraschte Raymond seine Zuhörer mit der Aussage, dass sich die GPL zunehmend als Hemmschuh für die Weiterentwicklung von Open-Source-Software (OSS) erweisen könnte, da sie große Teile der IT-Industrie nervös mache und damit die Adaption von Open Source als überlegenes und erfolgreiches Entwicklungsparadigma behindere. Seine Argumentation zielt gegen die "virale" Lizenzierung der GPL. Da seiner Ansicht nach Open Source heute als Modell verteilter Entwicklung von Software weitestgehend in der IT-Industrie etabliert hat, entfalle die Notwendigkeit eines eingebauten Schutzes, wie ihn die GPL bietet. Gerade die Passage in der GPL, in der auf die Gegenseitigkeit im Sinne eines "quid pro quo" beharrt werde, dem viralen Aspekt Lizenz für ESR, stört ihn zunehmend. Man ging früh davon aus, dass Open Source ein anfälliges und schwaches System zur Produktion sei, daher wurde der Schutz der GPL benötigt. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt für Raymond, dass das OSS-Modell alles anderes als schwach sei. Vielmehr habe sich die Situation, auf die man früh mit der GPL zum Schutz von Freiheiten reagierte, grundlegend verändert. Eine drohende Gefahr von möglichen, inkompatiblen Forks, etwa wie im Fall von UNIX, sieht ESR nicht. Da OSS heute sehr stark sei, schneide sich jeder Hersteller, der gegen die Spielregeln von Open Source verstößt, selbst ins eigene Fleisch: "Open-Source-Designer ersinnen und experimentieren jede Woche mit neuen Implementationen, mehr als ein proprietärer Hersteller innerhalb eines halben Jahres.", streicht er die innovative Kraft von OSS heraus.

Den Einwänden seines Interviewers, dass z.B. die BSDs nie eine vergleichbare Popularität und Verbreitung wie Linux gefunden haben, trotz ihrer nicht-viralen Lizenzierung, entgegnet ESR, dass sich beide Projekte schon auf der Basis ihrer Nutzerzahlen unterscheiden. Nicht die Wirkung der GPL hätten Linux zu einem erfolgreichen Modell gemacht, sondern dass Linus Torvalds das Modell der verteilten Entwicklung 1991 richtig verstanden und umgesetzt hat. Dazu war es notwendig, dass Internetzugänge erschwinglich wurden und viele Entwickler, statt ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen, sich aus ökonomischen Überlegungen heraus lieber an der Verbesserung von Linux beteiligten. Zwar hatte die GPL einen geringen Anteil am Erfolg von Linux, aber nicht so sehr in technischer Hinsicht, sondern eher als eine Art soziales Signal.

Im Hinblick auf die kommende GPL 3.0 betont ESR seine Abneigung gegen die diskutierte Verstärkung des viralen Aspekts der Lizenz, den er nie für gut hielt. Er habe für seine Projekte immer die GPL aus Gründen der Solidarität mit der OSS-Community gewählt, nie aus innerer Überzeugung. Würde man den viralen Aspekt der GPL in der neuen Version noch verstärken, befürchtet ESR einen verstärkten Abschreckungseffekt auf den Zulauf für Open Source. Die Verstärkung von Elementen der infektiösen Lizenzierung ist daher nicht notwendig: "...wenn wir wirklich überzeugt sind, dass Open Source ein überlegendes Produktionssystem ist, das Closed Source aus dem freien Markt verdrängen wird, warum sollte dann diese Infektions-Lizenzierung noch notwendig sein?" Das Spiel des freien Markts bestraft nach seiner Überzeugung automatisch alle Versuche, sich den Spielregen von Open Source und damit der zugrundeliegenden innovativen Kraft von OSS zu entziehen. Damit befürwortet ESR keineswegs GPL-Verletzungen, da die Autoren von Software schließlich das Recht auf eine Befolgung und Durchsetzung der Lizenz haben. Im übrigen stellt ESR provokativ die Frage, was man denn durch die Sanktion von Lizenzverletzungen gewinnen würde. Gar nichts, es werde die Hersteller nur von der Partizipation an OSS abhalten.

Vor dem Hintergrund der Erfolge von Red Hat und Cygnus zeige sich für ihn, dass Open Source erfolgreiche Geschäftsmodelle hervorbringen könnte. Daher gibt es keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen Geschäftsinteressen und der Offenlegung von Quellcode, wie Open Source ihn fordere. Richtig ins Schwärmen gerät ESR, als ihn der Interviewer mit einem Schachzug von Red Hat vertraut macht, die es anderen Anbietern über markenrechtliche Bestimmungen verbietet, die RHEL-Distribution als Ganzes zu verkaufen: "Verdammt, das ist wirklich schlau, ich liebe es. Es nützt allen: Red Hat zieht einen Zaun um sein Produkt, aber dennoch werden alle Regeln der Community eingehalten!" Schließlich verhindere diese Regelung nur, dass die Integrationsarbeit von Red Hat weiterverteilt wird, aber nicht die von Open Source geforderte Offenlegung des Quellcodes.

Im weiteren Interview wird deutlich, dass ESR die Unterscheidung zwischen Freiheit und Innovation für falsch hält. Die Affäre um BitKeeper habe dies demonstriert, McVoy habe in der Debatte einfach trügerische Thesen aufgestellt, die sich ESR nicht zu eigen machen kann. So zeigt der Verlauf der Ereignisse, dass offene im Vergleich zu proprietären Standards sehr wohl innovativ sind. Der Streit ging für ihn um die Frage, ob eingeschlossene Kernel-Metadaten im proprietären BitKeeper-Format auch weiterhin den Kernelentwicklern gehören oder nicht. Da BitKeeper kein Exportformat für die Metadaten des Kernels bereit gestellt hat, war das Reverse-Engineering von Andrew Trigdell eine Notwendigkeit und GIT sei aus dieser Situation entstanden. Insgesamt sieht ESR in diesem Vorfall bestätigt, dass Freiheit den Sauerstoff für Innovationen liefere und keine sich ausschließenden Gegensätze seien. Proprietäre Protokolle erzeugen nur Monopole und verhindern damit jegliche Innovationen. Jetzt sei es Zeit, im Sinne der genannten Argumente die eigene politische Zurückhaltung in Sachen GPL aufzugeben und in die erwartete hitzige Debatte mit ihren Befürwortern zu gehen.

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